Das singende Kind
einleitete.
Warm war es zwischen den Beinen. Eine Wärme, die den Schmerz löste, der Trudi geschüttelt hatte. Trudi setzte sich auf und dachte, daß die Wärme sie an der Bank kleben ließ, auf die sie gelegt worden war. Dann bemerkte sie das Blut.
Es mußte an den Schenkeln hinuntergelaufen sein. In die Schuhe. Die Innenseiten ihrer Jeans waren dunkel und feucht. Trudi preßte die Beine zusammen und schob eine Hand unter den Po, um zu prüfen, ob die ganze Hose betroffen war und wie sehr die Bank, als sie den Bahnbeamten sah, der nach ihrem Arm griff.
»Das Kind«, sagte Trudi, »es kommt zu früh.«
Er ließ ihren Arm los. »Ich rufe einen Krankenwagen«, sagte er. »Eine Fehlgeburt gehört ins Krankenhaus.«
»Retten Sie es«, sagte Trudi.
Er sah auf ihren Bauch, der flach in den Jeans lag. »Sie sind noch nicht sehr weit«, sagte er.
Keine Schwangerschaftshormone im Blut, hatte der Arzt gesagt. Eine Verschwörung. Sie hatten sich gegen ihr Kind verschworen. Trudi hob den Kopf und schaute auf das Emailleschild, das über ihr schwebte, und las den Stationsnamen. Nur ein paar Haltestellen bis nach Hause. Sich in den Schrank retten. Ruhe haben.
»Bleiben Sie sitzen. Ich bin gleich wieder da.« Er blickte sich um, als suche er eine Aufsicht über sie. Doch die Zuschauer hatten sich auf die zwei U-Bahnen verteilt, die eingefahren waren.
Trudi sah ihm nach, wie er sich entfernte. Zu dem Kollegen, der gleich die Abfahrt der beiden Züge bekanntgeben würde. Sie stand auf, und da hörte sie das Knistern des eingeschalteten Mikrofons, noch ehe sie die Stimme hörte, und sie sprang zum zweitenmal an diesem Tag in eine sich schließende Tür.
Trudi wandte sich der anderen Seite des Waggons zu. Wollte den Bahnsteig nicht sehen. Nicht das Gesicht des Beamten. Sie zog die Jacke aus und schlang sie um die Hüften. Hoffte, die vollgeblutete Hose zu verbergen, und kämpfte gegen die Schwäche an. Trudi wollte sich gerade auf den einzigen freien Sitz setzen, als sie den Alten sah, dessen Nase eine Witterung aufnahm.
»Das Fräulein hat seine Tage«, sagte er laut.
Trudi entfernte sich und blieb vor der Tür stehen, bis der Zug in die nächste Station eingefahren war. Dann stieg sie aus.
Dott hatte in Georgs Bett gelegen und Binden gebraucht. Viel mehr Binden, als Jos und Georg gekauft hatten. Dott hörte nicht auf zu bluten. Eine große Wunde zwischen ihren Beinen.
Es war schon später Abend gewesen, als Jos dann losging, eine Apotheke zu finden, die Nachtdienst hatte, und Georg gab Dott die Brandbinden aus dem Erstehilfekasten und wechselte das Laken zum zweitenmal. Kam sich vor wie eine Hebamme. Nicht wie einer, der gerade für eine Abtreibung bezahlt hat.
Jos war mit einer Vorratspackung wiedergekommen und einer Zweiliterflasche Rotwein. Kalterer See. Sie hatten sie in einer halben Stunde ausgetrunken. Auch Dott, die ein Antibiotikum nahm. Rotwein gibt Blut. Blut, das Dott brauchte, um Farbe in ihr Mondgöttinnengesicht zu bringen. Sie waren sehr betrunken gewesen.
Jos und er hatten auf dem Boden gelegen. Sich in die Steppdecke gehüllt, die Grete Fortgang gern losgeworden war. Auf Dotts Atem gelauscht und von Kindern gesprochen, die sie viel später einmal haben wollten. Georg voran.
Er hatte den Rest der Nacht auf dem Klo verbracht. Konnte keinen Kalterer See vertragen. Konnte nichts vertragen. Anders als der achtzehnjährige Jos, Vater des Kindes, der friedlich schlief.
Dott war drei Tage bei Georg geblieben. Bis sie sich wieder in ihr Wohnheim traute. Er hatte die Zeit genossen.
Georg hob die Jeans auf, die Trudi hatte fallen lassen, und trug sie hinter ihr her in das Badezimmer. Trudi saß schon im Wasser und sank noch tiefer hinein, als er kam. Der Schaum lag ihr wie ein Hermelinkragen um den Hals, und ihr Gesicht sah so blutleer aus, daß es ihn an Dott erinnerte. Sonst war an ihr immer alles zu kräftig gewesen und zu gesund, um Dott ähnlich zu sein.
Er hielt ihr die Hosen hin, deren Beine vom Blut hart geworden waren. Trudi drehte den Kopf weg und stieß sich die Stirn an dem Keramikwulst der Wanne und fing an zu weinen.
Wußte er doch alles. Glaubte zu wissen. Wollte es kein zweites Mal an sich heranlassen. Zu viele Seelen, die Jos auf dem Gewissen hatte. Kinder, die Georg zugestanden hätten.
Trudi lag da im Wasser und litt, und doch fürchtete Georg, daß sie leichtherziger war, als er gewünscht hatte. Das Kind hatte wegmachen lassen. Vielleicht aus Angst vor ihm, und er war wütend, weil
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