Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das singende Kind

Das singende Kind

Titel: Das singende Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
Vom Netzwerk:
sie wußte, daß keiner Angst vor ihm haben mußte, und hätte sie doch am liebsten untergetaucht.
    Georg ging aus dem Bad und sammelte den blutigen Slip auf und die Strümpfe. Holte den Eimer hervor und stellte ihn unter den Hahn. Ließ lauwarmes Wasser laufen. Versenkte die Wäsche darin und wusch sie aus.
    Georg stellte sich einen Exodus der Kinder vor. Das Singende Kind führte den Zug an, und die anderen folgten ihm und gingen aus der Welt, um nicht wiederzukommen. Die Rache der Kinder.
    »Die Kinder durften keine roten Haare haben und nicht dick sein«, sagte Georg, »Und am liebsten hatte er weiche zarte Haut.«
    »Wer war das?«
    »Der Kirmesmörder.« Georg schmiß den Packen Papier auf den Tisch und drückte die Hände an die Schläfen. »Er holte die Kinder von der Kirmes und folterte sie in einem Luftschutzbunker zu Tode.«
    Jos stöhnte auf. »Nicht auch noch die Triebtäter«, sagte er. »Nein«, sagte Georg, »das Singende Kind wird uns bald verlassen.«
    »Das hoffe ich. Du stirbst sonst noch dran.«
    »Hast du Trudi zu einer Abtreibung überredet?«
    »Hatte sie eine?«
    »Sie blutet die Wohnung voll. Wie Dott damals.«
    »Wahrscheinlich hat sie ihre Tage gekriegt. Da du sie ja nicht schwängern kannst.«
    »Du bist ein Schwein«, sagte Georg.
    »Nein«, sagte Jos, »Und auch kein Schlachter. Ich renne nicht rum und stecke meinen Schwanz in die Frauen rein, damit sie sich dann auskratzen lassen können. Es ist zweimal passiert, und das ist Jahre her, und ich habe nicht vor, es noch mal zuzulassen.«
    »Schwöre, daß du Trudi nicht angerührt hast.«
    Jos stand auf und griff nach seinem Jackett, das er über die Schnur geworfen hatte. Er zog es an und hob die Hand dabei. »Ich schwöre«, sagte er und ging zur Tür.
    »Wo willst du hin?«
    »Ich habe es satt«, sagte Jos.
    »Du sollst noch den Auszug der Kinder zeichnen.«
    Jos öffnete die Wohnungstür und zog sie hinter sich zu.
    »Er riß ihnen die Glieder aus. Bei lebendigem Leib!« schrie Georg. »Der Kirmesmörder«, sagte er und stand auf.
    Er ging ins Schlafzimmer, um nach Trudi zu sehen. Sie hatte sich auf dem Bett zusammengekrümmt und schlief. Georg holte die alte Steppdecke aus der Kammer und deckte Trudi zu. Setzte sich zu ihr auf das Bett und betrachtete sie. Er wollte so sehr, daß alles gut werden würde.

»Wen Gott straft, den schlägt er mit Blindheit.« Grete Fortgang drehte an den beiden Eheringen, die fest an ihrem Finger saßen. »Du hast dich allein in die Lage gebracht«, sagte sie, »es wäre falsch, dir da herauszuhelfen.« »Tausend Mark für die Miete«, sagte Georg, »Und für das Telefon. Die Rechnung ist auch noch offen.« Er zupfte an der Decke, die auf dem Tisch lag. Das Delfter Muster war mit dickem Garn gestickt.
    »Daß du den Mut hast, mich anzubetteln.«
    »Ja«, sagte Georg, »so verzweifelt bin ich.«
    »Doktor phil.«, sagte Grete Fortgang und fing an zu zirpen.
    »Bitte nicht.« Georg stand auf und ging zum Fenster. Im Hof standen noch immer die Teppichstangen. »Anfang November kann ich es dir zurückgeben«, sagte er. Bis dahin mußte er einen Job gefunden haben. Und wenn es als Nachtwächter war.
    »Hat Gertrud nichts geerbt?«
    »Zwei Zöpfe«, sagte Georg, »und Fotoalben.« Er dachte, daß die Wohnung in Nizza noch nicht leer geräumt war. Auch darum mußte er sich kümmern. Trudi mied das Thema wie die Pest.
    »Die Eltern haben nie den nötigen Ernst gehabt.«
    »Tausend Mark«, sagte Georg. »Du kannst die Anzüge von deinem Vater haben. Sie sind immer noch da. Alle in Schutzhüllen.«
    »Ich würde dich wirklich nicht fragen, wenn es nicht dringend wäre.« Georg drehte sich zu seiner Mutter um.
    »Du mußt einsehen, daß du versagt hast.«
    »Gut«, sagte Georg, »ich habe verstanden.« Er ging aus dem Zimmer und zog den Mantel an.
    »Du hättest Gertrud nicht heiraten dürfen. Sie ist dein Unglück.«
    »Weniger, als du es warst.« Georg machte die Tür auf.
    »Ich liebe Trudi«, sagte er und wußte, daß es immer noch stimmte.
    Trudi hörte bald auf zu bluten, und Georg schöpfte Hoffnung, daß es nur ihre Tage gewesen waren. Doch Trudi tat, als habe sie eine Totgeburt gehabt, und er erwischte sie, wie sie die Hemdchen und die Strampelhose vor ihrem Schrank zerschnitt.
    Georg versuchte mit ihr zu schlafen. Weniger aus Lust, als mit dem Wunsch, ihr was Gutes zu tun. Doch sie wehrte ihn ab. Weigerte sich, ihm auch nur einen Kuß zu geben, und schüttete ihm den Tee aus Gänsefingerkraut, den er

Weitere Kostenlose Bücher