Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Sonnenblumenfeld

Das Sonnenblumenfeld

Titel: Das Sonnenblumenfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Longo
Vom Netzwerk:
keiner hörte sie.
    Dann stürzten noch zwei ins Wasser, ohne zu wissen, wie ihnen geschah.
    Das Boot hatte endlich den Wellenkamm erklommen. Einen Augenblick lang sah man etwas Weißes funkeln. Der Mond, der in der Ferne auf dem Meer trieb. Dann schoss das Boot so schnell herab, dass es zu stürzen schien. Der Schwarze schrie vor Angst, aber die Kälte ließ den Schrei gefrieren, und nur ein Klagelaut entfuhr ihm, der sich in der Gischt verlor. Das Boot schlug auf dem Bauch des Meeres auf. Eine Welle wusch über das Deck und ließ das Holz aufseufzen, dann stieg das Boot wieder empor.
    Der Schwarze fragte sich, ob diese Reise in die Fins
ternis besser war als der Krieg in seinem Land. Diese Reise, die vielleicht nirgendwohin führte.
    Bevor er sich die Frage beantworten konnte, hob eine wütende Welle das Boot und schleuderte es gegen den Himmel.
    Einen Augenblick lang war es ein Vogel, der eine Pirouette drehte.
    Dann schlug es auf und brach genau in der Mitte entzwei.
    Während das Meer eindrang und das Boot in die Tiefe zog, schoss dem Schwarzen durch den Kopf, dass der Krieg besser war als diese Reise, die nun zu Ende ging. Aber er bereute nicht, sie angetreten zu haben, jeden ereilt das Schicksal, und dieses hier war seins.
    Er schmeckte das Salzwasser im Rachen.
    Dann zog es ihn nach unten, er bekam keine Luft mehr.
    Die Wellen schlugen über ihm zusammen.
    Und im selben Moment spürte er verwundert, dass er Boden unter den Füßen hatte. Das glänzende Weiß vor ihm, es war nicht der Mond, sondern ein Strand, der ihn ausgebreitet empfing.

Dummenico
    Die Tränen und die Wut, als er am Meer stand, sie waren nur ein vorübergehender Ausbruch gewesen. Dummenico war keiner, der sich von Sorgen kleinkriegen ließ. Auch, wenn er auf die fünfzig zuging und sein Herz manchmal ein paar Schläge aussetzte. Auch wenn ihn die Ungerechtigkeit, seine Arbeit verloren zu haben, quälte. Und das Joch, in schweren Zeiten ohne Arbeit zu sein, schwer zu tragen war.
    »Probleme sind dazu da, dass man sie löst«, sagte Dummenico und strich sich über den Schnurrbart. Der immer noch schwarz war, obwohl die Zeit dahinging.
    Deshalb war er, kaum war die erste Wut und Verzweiflung verwunden, in die Fabriken gegangen. Und als ihn keiner genommen hatte, hatte er die Ärmel hochgekrempelt und überall angepackt, wo er gebraucht wurde.
    Auf Booten, die aufs Meer hinausfuhren zum Fischen. Auf Baustellen, schwarz bezahlt, zusammen mit Rumänen und Albanern. Auf Tomatenfeldern, zusammen mit Afrikanern.
    Neun Monate lang hatte sich Dummenico so durchgeschlagen. Ohne ein einziges Mal zu klagen. Ohne Rosetta jemals die Mutlosigkeit zu zeigen, die ihn
ab und zu überkam. An Zigaretten, am Wein, an seinen Herzmedikamenten und sogar an Unterhosen hatte er gespart, um den Kinder ihr täglich Brot zu geben. Aber Rosetta spürte es, wenn ihn der Mut verließ. Sie ließ sich nichts anmerken, um ihn nicht noch mehr zu entmutigen, und weil sie wusste, dass er kein Mitleid mochte.
    Nur im Bett spielten sie einander nichts vor. Und wenn die Schufterei und die Müdigkeit ihnen etwas Raum ließen, schmiegten sie sich aneinander, und in dieser halben Stunde blieben alle Probleme draußen.
     
    Aber ein fester Wille und ein sturer Kopf ohne ein Quäntchen Glück sind wie Staub, den der Scirocco wegbläst.
    Die Krise auf dem Arbeitsmarkt wütete weiter. Die Reichen wurden reicher, und die Armen verloren das Wenige, das sie beiseitegeschafft hatten. Anfang August, als die Hitze sogar die Gedanken lähmte, war es so weit: Dummenico fand nicht einmal mehr Arbeit als Tellerwäscher oder Saisonkellner. Und als er zur Bank ging und auf seinem Konto nachsah, waren ihm noch vierhundert Euro geblieben. Zu wenig für die nächste Kreditrate, viel zu wenig zum Leben.
    Er spürte, wie sein Herz einen Moment lang aussetzte. Dann schlug es wieder regelmäßig, und er wollte allein sein, um nachzudenken.
    Er kaufte sich Oliven, ein Stück reifen Pecorino, ein Viertel Holzofenbrot und eine Flasche Primitivo. Und stieg den Muntagnone hinauf.
    Er brauchte drei Stunden, um auf den Gipfel zu gelangen, atemlos und mit schweißnassem Hemd.
    Die Hitze war selbst auf dem Muntagnone spürbar. Der Scirocco blies ihm in den Nacken. Ein Sperber tanzte mit ausgebreiteten Flügeln am Himmel, wie in einem Traum.
    Bevor er aß, bewunderte er die weite Aussicht über die sonnenverbrannte Landschaft. Durch die Felder führte die Straße, die jetzt verlassen dalag. Wie ein schwarzer Fluss

Weitere Kostenlose Bücher