Das Sonnenblumenfeld
hatten sie kurz über Fußball diskutiert und sich schließlich auf die Politik gestürzt.
Um zehn war die Auflaufform leer. Drei der sechs Flaschen Primitivo waren getrunken. Jetzt waren sie bei der vierten und prosteten sich zu. Und je mehr Wein durch die Kehle rann, umso persönlicher wurden die Gespräche, bis sie schließlich gegen elf über sich sprachen.
»Mimmù, jetzt mal ehrlich, wie stehen die Dinge?«
»Zähne zusammenbeißen und Arsch zusammenkneifen, Prufessò.«
»Arbeit?«
»Nicht mal als Tellerwäscher.«
»Und kann Rosetta hier und da was machen?«
»Rosettas Rücken ist hinüber, sie kann nicht mehr putzen gehen.«
Der Professor füllte die Gläser.
»Und wie schlägst du dich, Prufessò?«
»Hab noch was beiseitegelegt. Aber das ist doch kein Leben.«
»Und wie machen wir dieses Schiff wieder seetauglich, Prufessò?«
»Wenn ich das wüsste, Mimmù! Ich liege Nacht für Nacht wach, um einen Weg zu finden. Aber sosehr ich mir auch das Gehirn zermartere, mir fällt nichts ein.«
Dummenico trank einen Schluck Wein.
»Ich zeig dir jetzt was, Prufessò.«
Er zog einen vierfach gefalteten Zettel aus der Hosentasche.
»Was ist das?«, wollte der Professor wissen.
»Ein Lottoschein«, antwortete Dummenico und legte den Zettel auf den Tisch.
»Spielst du jetzt Lotto?«
»Fünf Euro.«
»Hast du gewonnen?«
»Wenn ich gewonnen hätte, hätte das bis Weihnachten gereicht –«
»Gar nix?«
»Nicht mal eine Zahl.«
»Lotto, Mimmù, ist das die Lösung?«
»Prufessò, seit neun Monaten versuche ich alles Mögliche.«
»Ich weiß.«
»Wenn ich am 28. die Rate nicht zahle, nehmen sie mir das Haus weg.«
»Eine Rate kann ich dir leihen.«
»Und am 28. danach geht alles von vorn los.«
»Kann sein, dass sich bis dahin der Wind dreht.«
»Ein Scheiß dreht sich, Prufessò.«
»Was willst du tun, Mimmù?«
Dummenico trank sein Glas leer.
»Prufessò, hast du 'ne Ahnung, wie viele Leute Lotto spielen?«
»Viele. Aber was interessiert dich das?«
»Am Samstag habe ich eine halbe Stunde in der Schlange gestanden, um meine drei Zahlen zu setzen.«
»Und hast nicht mal gewonnen, Mimmù.«
»Ich hab nicht gespielt, um zu gewinnen, Prufessò.«
»Und warum dann? Um Geld loszuwerden?«
»Um mir den Laden anzuschauen.«
»Den Laden?«
»Die Lottostelle.«
»Was zum Teufel hast du mit der Lottostelle zu schaffen, Mimmù?«
»Kapierst du nicht?«
»Nein.«
»Ausrauben will ich die, Prufessò!«
Nachdenken über die Lottostelle
Der Professor war einen Augenblick lang sprachlos. Dann brach er in ein so schallendes Gelächter aus, dass irgendwo in den Feldern ein Hund vor Angst zu bellen begann.
»Mimmù«, sagte er, als er aufgehört hatte zu lachen, »der Primitivo ist dir zu Kopf gestiegen.«
»Der Primitivo hat nix damit zu tun, Prufessò«, sagte Dummenico ernst.
»Das ist jetzt nicht wahr, oder?«
»Was glaubst du denn?«
»Ich glaube, dass sie dir ins Gehirn geschissen haben, Mimmù.«
»Und was ist dein Ausweg, Prufessò, außer gescheit daherzureden?«
»Anfang September ist in Rom eine Demonstration. Lass uns hinfahren. Lass uns wirklich kämpfen.«
»Scheiß auf den Kampf, das haben wir letztes Jahr hinter uns gebracht.«
»Du musst Geduld haben, um was zu verändern.«
»Verarscht haben sie uns trotzdem. Nicht mal die Abfindung haben wir bekommen, die anderen schon. Weißt du noch, Prufessò?«
»Mimmù, hör mir zu …«
»Nein, Prufessò, heute Abend hörst du mir zu. Ich
muss am Monatsende meine Rate fürs Haus bezahlen, sonst legen sie mir eine Hypothek drauf. Ja, vielleicht kannst du diesen Monat meine Rate zahlen, danke. Aber bald fängt die Schule an. Wovon soll ich Mariella ihre Schulbücher kaufen? Die Hefte? Die Stifte? Pittuccio ist gewachsen, die Schuhe sind zu klein. Jetzt läuft er barfuß rum, im Sommer, aber barfuß in die Schule schicken kann ich ihn nicht, oder? Seit zwei Jahren bin ich mit Rosetta keine Pizza mehr essen gewesen.«
»Mimmù, wenn alle so denken würden …«
»Interessiert mich 'nen Dreck, Prufessò, was die anderen denken«, sagte Dummenico, schlug mit der Hand auf den Tisch und stand auf. »Ich denk so. Außerdem sind die Gesetze eindeutig, Prufessò, Arbeit ist ein Recht. Was ist mit diesem Recht?«
Der Professor wollte gerade antworten, da fiel ihm Dummenico ins Wort.
»Das ist kein Leben, Prufessò. Das ist eine Bestie, die dir das Herz und jede Hoffnung raubt. Ich will überleben, Prufessò. Und du?«
Der
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