Das soziale Tier
Gehirn entwirft unentwegt kleine antizipatorische Muster, die uns helfen, die Zukunft vorauszusagen: Wenn ich meine Hand hierhin lege, wird dies geschehen. Wenn ich lächle, wird sie lächeln. Wenn unser Modell mit dem übereinstimmt, was tatsächlich geschieht, fühlen wir uns bestätigt. Wenn nicht, haben wir ein Problem, und das Gehirn muss herausfinden, wo der Fehler liegt, und das Modell anpassen.
Diese Funktion ist eine der grundlegenden Strukturen des Verlangens. Tag für Tag erzeugt das Gehirn antizipatorische Muster auf der Grundlage der Arbeitsmodelle, die in ihm gespeichert sind. Oftmals besteht ein Spannungsverhältnis zwischen den internen Modellen und der Außenwelt. Daher versuchen wir Konzepte zu entwickeln, die uns helfen, die Welt zu verstehen, oder wir versuchen unser Verhalten so zu verändern, dass wir in Einklang mit der Welt leben. Wenn wir eine Situation begreifen oder eine Aufgabe bewältigen, verspüren wir ein starkes Lustgefühl. Solche Lustgefühle entstehen nicht dadurch, dass wir in ständigem Einklang mit der Welt leben. Wenn dem so wäre, wären wir glücklich, wenn wir unser ganzes Leben am Strand verbringen würden. Das Lustgefühl tritt ein, wenn sich eine Anspannung löst. Ein glückliches Leben hat daher einen bestimmten Rhythmus: Anspannung und Entspannung, Anspannung und Entspannung. Und alles wird von dem Wunsch nach Limerenz angetrieben, dem Verlangen nach dem Moment, wo die inneren und äußeren Muster zur Deckung gelangen.
Diese Sehnsucht nach Harmonie – Limerenz – kann sich in kleinen, banalen Dingen manifestieren. Menschen erleben ein kurzes Lustgefühl, wenn sie ein Kreuzworträtsel lösen oder wenn sie sich an einen perfekt gedeckten Tisch setzen.
Der Wunsch nach Limerenz kann aber auch auf eher ungewöhnliche Weise zum Ausdruck kommen. Menschen fühlen sich instinktiv zu dem hingezogen, was ihnen vertraut ist. So hat zum Beispiel Brett Pelham von der State University of New York in Buffalo gezeigt, dass Menschen, die Dennis und Denise heißen, überdurchschnittlich häufig Zahnärzte (Dentisten) werden. 15 Menschen mit den Namen Lawrence und Laurie werden überdurchschnittlich oft Juristen (Lawyers). Menschen mit dem Namen Louis ziehen ungewöhnlich häufig nach Saint Louis, und Menschen, die George heißen, ziehen überdurchschnittlich oft nach Georgia. Dies sind einige der wichtigsten Entscheidungen im Leben eines Menschen, und sie werden, wenn auch nur ein bisschen, von dem Klang des Namens beeinflusst, den sie zufälligerweise bei ihrer Geburt erhielten, also durch die Anziehungskraft des Vertrauten.
Der Wunsch nach Limerenz veranlasst uns dazu, beruflich nach Perfektion zu streben. Wenn wir voll und ganz von einer Aufgabe in Anspruch genommen werden, löst sich die Schranke zwischen Innen- und Außenwelt auf. Eine erfahrene Reiterin fühlt sich eins mit dem Rhythmus des Pferdes, das sie reitet. Ein Zimmermann verschmilzt mit dem Werkzeug in seinen Händen. Eine Mathematikerin verliert sich in dem Problem, das sie löst. In diesen großartigen Momenten decken sich innere und äußere Muster, und es stellt sich das ein, was man Flow nennt.
Der Wunsch nach Limerenz treibt uns auch intellektuell an. Wir alle hören gern, dass wir recht haben (einige Rundfunk- und Fernseh-Gurus verdienen Millionen damit, dass sie die inneren Modelle ihres Publikums bestätigen). Uns überrollt eine Welle der Lust, wenn wir Zusammenhänge plötzlich verstehen. Wir alle leben gern in Harmonie mit unserer Umgebung. Wie Bruce Wexler in Brain and Culture darlegt, verbringen wir einen Großteil der ersten Hälfte unseres Lebens damit, innere Modelle aufzubauen, die mit der äußeren Welt übereinstimmen, und einen Großteil unserer zweiten Lebenshälfte damit, die Welt so zu verändern, dass sie unseren inneren Modellen entspricht. 16 In vielen spätabendlichen Kneipengesprächen geht es darum, andere von der eigenen Weltsicht zu überzeugen. Nationen geraten nicht nur wegen Land, Ressourcen und divergierenden Interessen aneinander; sie kämpfen auch, um andere dazu zu zwingen, die Welt so zu sehen, wie sie selbst es tun. Einer der Gründe dafür, dass sich der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern bisher jeder Lösung widersetzt hat, ist die Tatsache, dass jede Seite die andere dazu bewegen will, ihren historischen Mythos anzuerkennen.
Die meisten Menschen sind tief bewegt, wenn sie in ihr Elternhaus zurückkehren, an den Ort, an dem ihre ersten mentalen Modelle geformt
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