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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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sich ihr Handteller anfühlte, und wie wundervoll.
    Status-Sonar
    Eine paar Wochen später saß Harold allein in seiner Wohnung und hatte das Gefühl, dass alles in seinem Leben gerade ganz hervorragend lief. Alle Menschen gehen mit einem stets einsatzbereiten Status-Sonar durchs Leben. Wir senden unentwegt Wellen aus, die unseren Status messen, und empfangen einen Strom positiver oder negativer Rückkopplungssignale, die in ihrer Gesamtheit unseren Platz in der Gesellschaft bestimmen. Harold sah sich in seinem Loft um. PING . Er empfing ein positives Signal. Er mochte die Weitläufigkeit und die hohen Decken. Harold betrachtete seine Bauchmuskeln. PING . Er empfing ein negatives Signal. Er sollte wirklich öfter ins Fitnessstudio gehen. Harold betrachtete sein Gesicht im Spiegel. PING . Er empfing ein neutrales Signal. Keine überdurchschnittlich wohlgeformten Wangenknochen, aber es hätte schlimmer sein können.
    Das Status-Sonar summt den ganzen Tag lang – ein Strom positiver, negativer und neutraler Signale, die im Gehirn verrechnet werden und entweder ein Gefühl der Zufriedenheit, der Angst oder des Zweifels hervorrufen. Die Arbeit des Status-Sonars läuft für uns die meiste Zeit über nicht einmal bewusst ab; es ist einfach der hedonische Daseinstonus. Mark hatte Harold gesagt, dass es im Leben vor allem darauf ankomme, die Zahl der positiven Signale im Strom zu maximieren und die der negativen Signale zu minimieren. Ein Großteil des Lebens besteht aus einer Reihe von Korrekturen, um die positiven Signale im Strom zu erhöhen.
    Das Problem ist, dass niemandes Status-Sonar zuverlässig arbeitet. Einige Menschen überzeichnen ihren Status. Sie bauschen ihre Stellung in der Hackordnung gewaltig auf. Sie schreiben sich einen höheren Rang zu, als ihnen tatsächlich zukommt, und wenn sie mit Frauen ausgehen wollen, die ihnen hinsichtlich der Rangstellung überlegen sind, geraten sie außer Fassung, wenn sie zurückgewiesen werden. Andere Menschen spielen ihren Status herunter. Diese Menschen werden sich nie um Stellen bewerben, für die sie absolut qualifiziert sind, weil sie fest davon überzeugt sind, dass sie von ihren Konkurrenten ausgestochen werden.
    Am erfolgreichsten sind diejenigen, die ihren Status leicht überzeichnen. Sie maximieren die positiven Statussignale und bekommen dadurch Selbstbewusstsein, während sie den Stellenwert der negativen Signale herunterspielen und sich so lähmende Selbstzweifel ersparen.
    Nach einer jahrtausendelangen männlichen Vorherrschaft sind Männer sehr geübt darin, ihren Status stark zu überzeichnen. Bei einer weltweiten Studie stellte Adrian Furnham vom University College in London fest, dass Männer überall auf der Erde ihre Intelligenz überschätzen. 1 Eine weitere Studie zeigte, dass 95 Prozent der amerikanischen Männer glauben, dass sie in Bezug auf soziale Kompetenzen in den Bereich der oberen 50 Prozent gehören. Frauen spielen ihren Status eher herunter. Sie unterschätzen ihre IQ -Werte im Schnitt um etwa fünf Punkte. 2
    Harolds Sonar-Sensor ähnelte einer kunstvoll gefertigten schweizerischen Uhr. Er war ausgewogen, empfindsam und hinlänglich nachsichtig. Wie die meisten glücklichen Menschen beurteilte Harold sich selbst nach seinen Absichten, seine Freunde nach ihren Taten und seine Rivalen nach ihren Fehlern. Die PING s gingen weiter. Die Plus-Signale strömten.
    Wenn sich Harold vorstellte, wie er mit Erica zusammen war, glich dies einem brandenden Strom positiver Signale. Stendhal schrieb einmal, die erste große Liebe jedes Menschen sei von Ehrgeiz getrieben. Es war nicht nur Erica als Person, die Harold aufregend fand. Vielmehr war er von der ganzen Aura dieser tatkräftigen, willensstarken und strebsamen Frau fasziniert. Er war begeistert bei dem Gedanken an die Orte, die sie zusammen besuchen würden. Er stellte sich vor, wie sie sich bei Abendgesellschaften gegenseitig neckten, wie Beatrice und Benedick in Viel Lärm um nichts .
    Aber es spielte sich auch etwas Tiefergehendes ab. Sein ganzes Leben hindurch hatte Harold auf einer bestimmten Gefühlsebene verbracht, jetzt aber verspürte er mit einem Mal tiefere Regungen in sich. Dies zu erkennen war ungefähr so, als wenn man sein ganzes Leben in einem Haus gewohnt hat und plötzlich durch eine Falltür fällt, um festzustellen, dass es da die ganze Zeit noch ein Untergeschoss gab, und darunter noch ein Geschoss und unter diesem ein weiteres und noch eines. Matthew Arnold beschreibt das

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