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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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Karten, und die anderen beiden unverhältnismäßig viele schlechte Karten. Beim fünften Durchgang erklärten viele der Versuchspersonen, dass ihnen gewisse Stapel »lieber« seien als andere, auch wenn sie nicht sagen konnten, weshalb. Schon beim zehnten Durchgang begannen einige, leicht zu schwitzen, als sie ihre Hand nach dem riskanten Stapel ausstreckten.
    Die nächste große Leistung des Unbewussten ist die Fähigkeit, implizite Überzeugungen zu entwickeln. Der schweizerische Arzt Édouard Claparède führte ein kleines Experiment mit einer seiner Patientinnen durch, die an Amnesie litt. 27 Jedes Mal, wenn er sie aufsuchte, musste er sich erneut vorstellen. Bei einem Besuch versteckte er eine Reißzwecke in seiner Hand. Als sie sich die Hände reichten, stach ihr die Zwecke in die Hand. Als er sie das nächste Mal besuchte, erkannte sie ihn wieder nicht. Er musste sich abermals vorstellen. Sie war erfreut, ihn »kennenzulernen«, doch als er ihr seine Hand zur Begrüßung entgegenstreckte, ergriff sie sie nicht. Ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte sie gelernt, seine Hand mit Schmerzen zu assoziieren.
    Diese Art von implizitem Lernen durchdringt jeden Aspekt des Lebens. So ist zum Beispiel kein Computer so leistungsfähig, dass er einen sogenannten Fly Ball bei einem Baseball-Spiel auffangen könnte. Er müsste zu viele Bahnen berechnen, um den Handschuh genau an die Stelle zu bewegen, wo der Ball landen wird. Aber schon ein zehnjähriger Junge lernt schließlich die implizite Regel, die ihn in die Lage versetzt, einen Ball zu fangen. Wenn ein Fly Ball in Ihre Richtung geschlagen wird, schauen Sie den Ball aus einem bestimmten Winkel an. Sie laufen in Richtung der Stelle, wo der Ball geschlagen wird, während Sie Ihren Blickwinkel konstant halten. Wenn der Winkel kleiner wird, sollten Sie beschleunigen. Wenn er größer wird, sollten Sie langsamer werden. Diese eine implizite Regel führt Sie zu der Stelle, wo der Ball landen wird. 28
    Diese Fähigkeit, implizite Heuristiken anzuhäufen, lässt sich auch auf Dinge anwenden, die wichtiger sind als Baseball. Das Unbewusste scheint Informationen auf zweierlei Weisen zu codieren. Zum einen gibt es das, was Wissenschaftler die »wortwörtliche Codierung« nennen, bei der genau das, was bei einem bestimmten Ereignis geschah, codiert wird. Zum anderen gibt es auch die »Theorie der unscharfen Spur«, wonach das Unbewusste auch ein unscharfes Bild eines Ereignisses abspeichert, das abgerufen wird, sobald ein annäherungsweise ähnliches Ereignis eintritt. 29 Wenn man sich jedes Mal, wenn man zu einer Beerdigung geht, bis in die kleinsten Einzelheiten an das Verhalten erinnerte, das man bei sämtlichen zurückliegenden Beerdigungen erlebt hat, würde man sich in nutzlosen Details verzetteln. Erinnert man sich aber nur an die wesentlichen Punkte des Verhaltens, das sich bei solchen Anlässen gebührt – welche Kleidung man tragen, wie man sich bewegen und in welchem Ton man sprechen sollte –, erhält man eine allgemeine Vorstellung von dem gesellschaftlich akzeptierten Verhalten.
    Implizite Überzeugungen und Stereotype strukturieren unsere Welt, und sie sind absolut unverzichtbar für den normalen Lebensvollzug. Sie sagen einem, welche Verhaltensweisen man wahrscheinlich auf einer Party antreffen und welchen Leuten man voraussichtlich in einem Star-Trek-Fanclub, einem Bibelkreis oder auf einem Rockkonzert begegnen wird. Das Unbewusste begreift die Welt mit Hilfe von Verallgemeinerungen.
    Durch Anwendung dieser flexiblen Instrumente kann das Unbewusste recht gut komplexe Probleme lösen. Die allgemeine Regel lautet, dass bewusste Prozesse Probleme mit wenigen Variablen oder Wahlmöglichkeiten besser lösen können, während unbewusste Prozesse besser bei der Lösung von Problemen mit vielen Möglichkeiten und Variablen sind. Bewusste Prozesse können Probleme mit konkret definierten Faktoren lösen. Unbewusste Prozesse sind besser, wenn alles mehrdeutig ist.
    In einem Experiment gaben Ap Dijksterhuis und Loran F. Nordgren und ihre Mitarbeiter von der Universität Amsterdam einer Gruppe von Probanden eine komplexe Serie von 48 Informationseinheiten über vier verschiedene Wohnungen. Eine der Wohnungen wurde als bequemer und reizvoller dargestellt als die anderen (sie wurde in positiver Weise beschrieben, während die anderen in einer gemischten oder negativen Weise beschrieben wurden). Dann wurden die Versuchspersonen in drei Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe sollte

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