Das soziale Tier
sofort die beste Wohnung auswählen. Eine andere Gruppe bekam ein paar Minuten Bedenkzeit. Einer dritten Gruppe wurde gesagt, sie würden ihre Wahl in einigen Minuten treffen, doch dann wurden sie die ganze Zeit durch eine Aufgabe, die nichts damit zu tun hatte, abgelenkt.
59 Prozent der Personen in der abgelenkten Gruppe entschieden sich für die »geschönte« Wohnung, gegenüber 47 Prozent derjenigen in der Gruppe mit Bedenkzeit und 36 Prozent derjenigen, die sich sofort entschieden. Während sie abgelenkt waren, arbeitete ihr Unbewusstes auf Hochtouren. Weil sie sich auf das Unbewusste mit seiner überlegenen Verarbeitungskapazität gestützt hatten, hatten sie eine ganzheitliche Wahl getroffen und das ganze Spektrum der Variablen einbezogen. Die bewussten Entscheider wählten ein paar Merkmale aus und konnten nicht das gesamte Spektrum verarbeiten. Diejenigen, die sofort auswählten, trafen die schlechteste Entscheidung, was den wichtigen Punkt veranschaulicht, dass das unbewusste Denken nicht das Gleiche ist wie eine blitzschnelle Urteilsbildung. 30 Das Unbewusste arbeitet effizienter, wenn es Zeit zum Nachdenken hat, und das gilt auch für bewusste Prozesse.
Timothy Wilson führte ein Experiment durch, das später von Dijksterhuis wiederholt wurde. Dabei ließ er Studenten zwischen fünf verschiedenen Kunstpostern wählen, und er befragte sie später, um herauszufinden, ob sie mit ihrer Wahl immer noch zufrieden waren. 31 Diejenigen, die aufgefordert wurden, die von ihnen ausgewählten Bilder eingehend zu prüfen, waren Wochen später mit ihren Postern am wenigsten zufrieden. Diejenigen, die das Poster kurz betrachteten und dann ihre Wahl trafen, waren später am zufriedensten. Dijksterhuis und seine Mitarbeiter bestätigten ihre Ergebnisse mit einer Studie, die bei IKEA durchgeführt wurde. 32 Die Möbelauswahl ist für Konsumenten einer der kognitiv anspruchsvollsten Entscheidungsprozesse. Menschen, die ihre IKEA -Auswahl nach weniger gründlicher Prüfung tätigten, waren zufriedener als diejenigen, die ihren Kauf erst nach sorgfältiger Musterung tätigten. In einem nahen Geschäft mit dem Namen »De Bijenkorf«, wo die angebotenen Produkte einfacher gestaltet waren, waren diejenigen Käufer zufriedener, die die Produkte gründlich geprüft hatten.
Das Unbewusste ist der geborene Entdecker. Während das bewusste Denken für gewöhnlich schrittweise vorgeht und ein paar zentrale Fakten oder Prinzipien herausfiltert, tendiert das unbewusste Denken dazu, sich durch einen assoziativen Prozess auszubreiten und in das vorzuwagen, was Ap Dijksterhuis die »düsteren und verstaubten Ecken und Winkel des Geistes« nennt. 33 Daher erzeugt das Unbewusste mehr kreative Querverbindungen und überraschende Parallelen. Das unbewusste Denken kann viel mehr Faktoren einbeziehen. Es gewichtet von sich aus die Bedeutung verschiedener Faktoren, die in den Blick geraten. Es hastet ruhelos umher und führt viele parallele Prozesse gleichzeitig aus. Das Bewusstsein ist währenddessen mit anderen Dingen beschäftigt: Es versucht neue Situationen mit alten Modellen in Einklang zu bringen oder die einzelnen Elemente eines Problems neu anzuordnen, bis sie eine harmonische Ganzheit bilden. Das Unbewusste dagegen ist auf der Suche nach Zusammenhängen, Mustern und Ähnlichkeiten, es jagt Schwingungen und Metaphern hinterher. Es nutzt das gesamte Spektrum psychologischer Instrumente – Emotionen ebenso wie körperliche Empfindungen.
Wir neigen dazu, zu glauben, dass das Unbewusste im älteren Teil des Gehirns seinen Sitz habe, dem Teil, den wir mit den Tieren gemeinsam haben, während das Bewusstsein in den evolutionsgeschichtlich jüngeren Regionen des Gehirns, die uns als Menschen auszeichnen, angesiedelt sei. Doch schon 1963 stellte Ulric Neisser die verblüffende These auf, dass womöglich die Komplexität unserer unbewussten Prozesse das sei, was uns als Menschen auszeichne:
Es ist erwähnenswert, dass das menschliche Großhirn, anatomisch gesehen, offenbar jene Art von diffusem System darstellt, in dem mehrere Prozesse ablaufen können. In dieser Hinsicht unterscheidet es sich von dem Nervensystem niederer Tiere. Unsere Hypothese führt uns zu dem radikalen Vorschlag, dass der entscheidende Unterschied zwischen dem Denken des Menschen und dem niederer Tiere nicht in der Existenz von Bewusstsein besteht, sondern in der Fähigkeit zu komplexen Prozessen außerhalb des Bewusstseins. 34
Epistemologische
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