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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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fürchten uns vor Kettensägen, obwohl sich fast zehnmal so viele Menschen jedes Jahr auf Spielplätzen verletzen. 18
    Insgesamt weist das Unbewusste einige gravierende Unzulänglichkeiten auf, wenn es darum geht, gute Entscheidungen zu treffen. Also war es durchaus sinnvoll, dass Taggert und seine Speichellecker das College besuchten und Betriebswirtschaft studierten, denn dort lernten sie, Daten methodisch auszuwerten. Aber die Medaille hat auch noch eine andere Seite. Das Unbewusste nimmt nämlich Dinge wahr, die das Bewusstsein nicht registriert. Es gibt gute Gründe zu glauben, dass das Unbewusste seine ganz eigene Intelligenz besitzt.
    Das geheime Orakel
    Zuerst einmal sind bewusste Prozesse in unbewusste Prozesse eingebettet. Das rationale Denken lässt sich nicht vom unbewussten Denken abtrennen, weil das Bewusstsein seinen Input, seine Ziele und seine Richtungssignale vom Unbewussten empfängt. Die beiden Systeme müssen ineinandergreifen, wenn wir unser Potenzial ausschöpfen wollen. Außerdem ist das Unbewusste leistungsfähiger als das Bewusstsein. Das Unbewusste verfügt über ein gigantisches implizites Gedächtnissystem, auf das es sich stützen kann, während sich das Bewusstsein weitgehend auf das Arbeitsgedächtnis stützt, die Informationseinheiten, die uns zu jedem beliebigen Zeitpunkt bewusst sind. Das Unbewusste setzt sich aus vielen verschiedenen Modulen zusammen, die jeweils ihre eigenen Funktionen haben, während das Bewusstsein aus nur einem Modul besteht. Das Unbewusste hat eine viel größere Verarbeitungskapazität. Das Bewusstsein hat selbst dann, wenn es sein Potenzial voll ausschöpft, eine Verarbeitungskapazität, die 200 000 Mal geringer ist als die des Unbewussten. 19
    Zudem sind viele der Schwächen des Unbewussten nur die Kehrseite seiner Stärken. Das Unbewusste reagiert sehr empfindlich auf den Kontext. Und auf den Kontext zu achten kann manchmal ziemlich wichtig sein. Das Unbewusste behandelt Informationen als etwas Flüssiges, nicht als etwas Festes. Aber manchmal sind Situationen eben mehrdeutig, und da ist es nützlich, flexibel zu sein. Das Unbewusste verallgemeinert schnell und projiziert bereitwillig Stereotype. Das Alltagsleben wäre wohl unmöglich, wenn man sich nicht auf Verallgemeinerungen und Stereotype stützen könnte. Das Unbewusste kann unscharf sein. Aber das Leben vollzieht sich nun mal größtenteils in Ungewissheit, und da ist es nützlich, über mentale Prozesse zu verfügen, die mit Ungewissheit umgehen können.
    Wenn man eine Ahnung von den schwierigen Aufgaben bekommen will, die das Unbewusste Tag für Tag erledigt, sollte man mit einigen der grundlegendsten beginnen. Das Unbewusste überwacht durch einen sechsten Sinn, die sogenannte Propriozeption, wo sich die eigenen Körperteile zu jedem beliebigen Zeitpunkt befinden. Der Mediziner Jonathan Cole dokumentierte den Fall von Ian Waterman, der eine Nervenschädigung erlitt und Teile dieses unbewussten Sinnes verlor. 20 Durch mühsame Arbeit über viele Jahre gelang es Waterman, seinen Körper mit Hilfe bewusster Denkprozesse zu überwachen. Er brachte sich bei, wieder zu gehen, sich anzuziehen und sogar Auto zu fahren. Schwierig wurde es, als er eines Abends in der Küche stand und der Strom ausfiel. Da er nicht sehen konnte, wo seine Gliedmaßen waren, konnte er sie nicht kontrollieren. Er stürzte auf den Boden in ein Gewirr von Körperteilen.
    Diese unbewusste Fähigkeit, mit den Körperempfindungen zu kommunizieren, ist nicht trivial. Der Körper übermittelt Botschaften, die ein integraler Bestandteil des Denkens sind, und dies auf mitunter sehr seltsame Weise. Wenn man Menschen ein Argument vorliest und sie zugleich bittet, ihre Arme so zu bewegen, als würden sie etwas »wegdrücken«, dann lehnen sie dieses Argument eher ab, als wenn man sie auffordert, die Arme so zu bewegen, als würden sie etwas »an sich ziehen«. Ein Gehirn, das in einem mit Flüssigkeit gefüllten Gefäß schweben würde und von den motorischen Funktionen abgeschnitten wäre, könnte nicht funktionieren.
    Das Unbewusste kann auch ohne Unterstützung des Bewusstseins unglaublich komplexe Aufgaben ausführen. Um Autofahren zu lernen, muss man sich bewusst konzentrieren, doch sobald man diese Tätigkeit einmal beherrscht, wird das Wissen ans Unbewusste gesandt, und man kann Hunderte von Kilometern fahren, während man Radio hört, sich mit einem Mitfahrer unterhält und an einem Kaffee nippt, ohne bewusst auf die Straße zu

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