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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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achten. Ohne darüber nachzudenken, verhalten sich die meisten Menschen gegenüber Fremden höflich, gehen unnötigen Konfrontationen aus dem Weg und nehmen Anstoß an Ungerechtigkeiten.
    Das Unbewusste ist für Spitzenleistungen verantwortlich. Wenn ein Anfänger eine bestimmte Fertigkeit erlernt, ist sein Gehirn hochaktiv. Wenn ein Experte diese Fertigkeit weitgehend unwillkürlich ausübt, sind die entsprechenden Hirnareale nur noch schwach aktiv. Die Leistungsfähigkeit des Experten steigt, je weniger er bewusst über das nachdenkt, was er tut. Wenn jemand in seinem Metier sehr gut ist, werden seine Bewegungen von den automatischen Zentren des Gehirns gesteuert. Sportreporter würden über so jemanden sagen, ihm sei das »in Fleisch und Blut übergegangen«. Wenn eine Golfspielerin darüber nachdenken müsste, wie sie ihren Golfschläger bewegen soll, oder wenn eine Opernsängerin darüber nachdenken müsste, wie sie eine Arie singt, würden sie schlechtere Leistungen bringen. Sie würden sich, um mit Jonah Lehrer zu sprechen, »am Denken verschlucken«. 21
    Dann ist da die Wahrnehmung. In dem Maße, wie das Unbewusste Daten aufnimmt, interpretiert und ordnet es diese, um zu einem vorläufigen Verständnis zu gelangen. Es ordnet jede Informationseinheit in einen Kontext ein. Das sogenannte Blindsehen veranschaulicht das Phänomen der unbewussten Wahrnehmung auf besonders dramatische Weise. Menschen, deren Sehrinde geschädigt wurde – meistens infolge eines Schlaganfalls –, können nicht mehr bewusst sehen. Beatrice de Gelder von der Tilburg University bat einen Mann mit einer solchen Schädigung, einen vollgestellten Korridor hinunterzugehen. 22 Er ging im Zickzack durch den Flur und wich dabei geschickt den Hindernissen aus, um ans andere Ende zu gelangen. Als Wissenschaftler anderen durch eine Schädigung ihrer Sehrinde Erblindeten Karten mit Mustern darauf zeigten, errieten diese die Muster mit erstaunlicher Treffgenauigkeit. 23 Wenn das bewusste Sehen verloren gegangen ist, übernimmt das Unbewusste.
    Diese Wahrnehmungsfähigkeiten können erstaunlich subtil sein. Viele Geflügelmastbetriebe beschäftigen professionelle Sexer. 24 Sie prüfen frisch geschlüpfte Küken und bestimmen ihr Geschlecht, obwohl männliche und weibliche Küken für das ungeübte Auge völlig gleich aussehen. Erfahrene Sexer können pro Stunde 800 bis 1000 Küken prüfen und ihre Geschlechtszugehörigkeit mit einer Genauigkeit von 99 Prozent feststellen. Wie gelingt ihnen das? Sie können es selbst nicht genau sagen. Männchen und Weibchen unterscheiden sich einfach, und sie wissen es, wenn sie es sehen.
    In einem Test, den viele Forscher durchgeführt haben, werden die Probanden aufgefordert, einem X zu folgen, während es von einem Quadranten auf einem Computerbildschirm in einen anderen springt. Die Bewegung des X folgt einer komplexen Formel, wobei die Position, die das X einnimmt, wenn es das nächste Mal auftaucht, von der vorhergehenden Folge seines Erscheinens abhängt. Trotzdem erraten die Probanden die Stelle, wo das X auftaucht, mit einer Quote, die besser ist als der Zufall, und die Trefferquote ihrer Vermutungen steigert sich noch, je länger sie dieses Spiel spielen. Wenn Forscher die Formel in der Mitte allerdings verändern, verschlechtert sich die Leistung der Versuchsperson, auch wenn man noch nicht weiß, wieso.
    Studien an amerikanischen Soldaten im Irak und in Afghanistan lassen darauf schließen, dass einige Soldaten wesentlich besser darin sind als andere, einen Schauplatz zu erfassen und winzige Hinweise wahrzunehmen – einen Stein, der da nicht hingehört, einen merkwürdig aussehenden Müllhaufen –, die auf Sprengfallen am Straßenrand hindeuten. Oberfeldwebel Edward Tierney kann nicht erklären, woher er wusste, dass ein bestimmter Wagen eine Bombe enthielt, und er daher beschloss, jenes Ausweichmanöver zu fahren, das ihm das Leben rettete. »Mein Körper wurde plötzlich kühler; ich spürte die Gefahr intuitiv«, erzählte er Benedict Carey von der New York Times. 25
    In einer wegweisenden Studie forderten Antonio und Hanna Damasio und ihre Mitarbeiter ihre Versuchspersonen auf, ein Kartenspiel zu spielen. 26 Die Probanden erhielten 2000 Dollar und sollten dann Karten aus vier Stapeln auswählen. Wenn sie gute Karten zögen, würden sie Geld gewinnen, wenn sie schlechte Karten auswählten, würden sie Geld verlieren. Die Stapel waren manipuliert, zwei enthielten unverhältnismäßig viele sehr gute

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