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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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Staates ist wie Feuer – sie wärmt, wenn sie gezügelt wird, und sie ist tödlich, wenn sie sich unkontrolliert ausbreitet. Harold war der Meinung, dass der Staat das Leben seiner Bürger nicht lenken solle. Dies würde nur die Eigenverantwortung und das moralische Bewusstsein der Bürger schwächen. Aber der Staat konnte die Rahmenbedingungen beeinflussen, unter denen das Leben gelebt wird. Der Staat konnte, bis zu einem gewissen Grad, Rahmenbedingungen fördern, die brüderliche Beziehungen zwischen den Menschen stärkten. Er konnte die Einstellung der Bürger beeinflussen.
    Erreichen ließ sich das zum Teil einfach dadurch, dass der Staat seine grundlegenden Aufgaben erfüllte und ein Mindestmaß an öffentlicher Ordnung und Sicherheit gewährleistete – durch Verteidigung gegen Angriffe von außen, Regulierung der Wirtschaft zum Schutz der Bürger vor Übervorteilung und Ausbeutung, Schutz der Eigentumsrechte, Verbrechensbekämpfung, Rechtsstaatlichkeit und Gewährleistung einer grundlegenden sozialen Absicherung sowie eines zivilgesellschaftlichen Ordnungsrahmens.
    Ein weiterer Teil davon ließ sich erreichen, indem man Programme, die die Kultur und den Charakter schwächen, reduzierte. Das soziale Gefüge beruht auf der Annahme, dass sich Anstrengung lohnt. Doch sehr oft belohnt der Staat Menschen, die sich nicht angestrengt haben. Er tut das in guter Absicht (man denke an die alten Sozialleistungen, die eher einen Anreiz boten, keine Arbeit aufzunehmen), und er tut das, weil er sich korrumpieren lässt (von Lobbyisten, die sich zweckgebundene Mittel, Steuererleichterungen und Subventionen sichern, sodass Unternehmen Einnahmen erzielen, die sie sich nicht am Markt verdienen müssen). Diese Programme schwächen das soziale und öffentliche Vertrauen. Indem sie Anstrengung von Belohnung trennen, vergiften sie die Atmosphäre. Sie senden die Botschaft aus, das System sei manipuliert und die Gesellschaft korrupt.
    Harold aber war der Ansicht, dass der Staat mit geeigneten Maßnahmen auch eine konstruktivere Rolle spielen könne. So wie eine ferne, zentralisierte Staatsmacht servile Bürger hervorbringt, so erzeugen dezentralisierte Machtstrukturen und eine kommunale Selbstverwaltung aktive und kooperative Bürger. Infrastrukturprojekte, die innerstädtische Zentren schaffen, stärken die sozialen Beziehungen und fördern die Entwicklung. Charter Schools – Schulen, die auf einem Vertrag zwischen Schulleitung und Schulbehörde beruhen – bringen Eltern zusammen. Universitäten, die auch jenseits des Campus aktiv sind, werden zu zivilgesellschaftlichen und unternehmerischen Knotenpunkten. Freiwilligendienste bringen Menschen über Klassenschranken hinweg zusammen. Öffentlich finanzierte, lokal verwaltete Social-Entrepreneurship-Fonds fördern bürgerliche Aktivitäten und soziale Hilfsprogramme. Eine leicht verständliche und gerechte Steuerpolitik setzt Energien frei, erhöht die Dynamik, steigert die Vitalität und ermuntert zu schöpferischer Zerstörung.
    Aristoteles schrieb, dass die Gesetzgeber den Bürgern bestimmte Verhaltensweisen angewöhnen. Ob sie es wollen oder nicht, fördern Gesetzgeber manche Lebensweisen und schrecken von anderen ab. Staatskunst ist unweigerlich Seelenkunst.
    Denkexperimente
    Harold begann eine Reihe von Aufsätzen für politische Fachjournale zu schreiben, in denen er der Frage nachging, was sein weicher Ansatz in der realen Welt bedeuten könnte. All diese Aufsätze hatten ein gemeinsames Thema: wie das Zerbrechen unbewusster Bindungen zahlreiche gesellschaftliche Probleme verursachte und was der Staat tun könne, um diesen Riss im Sozialgefüge zu reparieren.
    Er begann auf Gebieten, die so weit wie möglich von der überschwänglichen Welt der Emotionen und Beziehungen entfernt lagen. Sein erster Aufsatz befasste sich mit dem internationalen Terrorismus. Viele Kommentatoren hatten ursprünglich angenommen, der Terrorismus sei ein Produkt der Armut und mangelnder ökonomischer Chancen. Es wäre also ein Problem mit materiellen Ursachen. Doch Untersuchungen über die Vorgeschichte von Terroristen haben nachgewiesen, dass laut einer Datenbank 75 Prozent aller antiwestlichen Terroristen aus Mittelschichtfamilien stammen und erstaunliche 63 Prozent ein College besucht haben. 8 Es handelt sich nicht um ein materielles, sondern ein soziales Problem. Terroristen sind, wie Olivier Roy behauptet, losgelöst von allen Bindungen an ein bestimmtes Land oder eine bestimmte Kultur. 9

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