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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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Geschlechtsverkehr zu verändern, sie versuchten, den Menschen eine moralische Bewusstseinshaltung zu vermitteln, sodass sie sich gar nicht erst diesbezüglichen Versuchungen aussetzten. Solche Programme wurden oft von religiösen Führungsfiguren geleitet. Diese Männer und Frauen sprachen in der Sprache von »richtig« und »falsch«, von Laster und Tugend; sie sprachen die Sprache des »Sollen«. Sie redeten von Erlösung und biblischer Wahrheit. Ein weniger riskantes Sexualverhalten war da nur das Nebenprodukt eines grundlegenden Einstellungswandels.
    Das ist eine Sprache, die mit bloßem Fachwissen nichts anzufangen weiß. Es ist eine Sprache, die von einem älteren Menschen gesprochen werden muss, einem Nachbarn, von Menschen, die sich gegenseitig namentlich kennen. Harold wies darauf hin, dass der Westen eine gewaltige Menge an medizinischem und anderweitigem Fachwissen zur Bewältigung des HIV /Aids-Problems angewendet hat, aber nicht genug moralisches und kulturelles Wissen – jene Art von Wissen, die das Leben, die Einstellungen und moralischen Wertmaßstäbe und dadurch die unbewussten Grundlagen des Verhaltens verändert.
    Dann kam Harold auf die Verhältnisse in den USA zu sprechen. Er beschrieb, wie die Expansion der Vorstädte überall im modernen Amerika die soziale Integration in die kommunale Gemeinschaft geschwächt hat. Er führte aus, wie Erschließungsunternehmen in den 1990er Jahren riesige Wohnsiedlungen in Stadtrandgebieten errichtet hatten. Wenn man damals Immobilienkäufer fragte, was sie sich in ihrer Siedlung wünschten, war ein Golfplatz – also ein Statussymbol – die Antwort. Fragte man die Leute zehn Jahre später, wünschten sie sich ein Gemeindezentrum, ein Café, einen Wanderweg und einen Fitnessklub. Diese Leute waren übers Ziel hinausgeschossen. Sie zogen in entlegene Vororte, um ihr Stück vom amerikanischen Traum abzubekommen, den sie mit einem großen Haus gleichsetzten. Was sie verloren, waren die sozialen Beziehungen, die entstehen, wenn man in dichter besiedelten Gegenden wohnt. Der Markt reagierte teilweise auf diese neue Bedürfnislage, indem er inmitten der Vorortsiedlungen städtische Straßenbilder schuf – dichte, zentral gelegene Areale, in denen die Menschen bummeln und in Cafés einkehren können. 12
    Soziale Mobilität
    Harolds wichtigstes Forschungsprojekt drehte sich um soziale Mobilität. Seine Grundannahme lautete, dass sich die Wissenschaftler in den letzten Jahrzehnten allzu einseitig mit der Globalisierung befasst hatten, dem grenzüberschreitenden Austausch von Waren und Ideen. Die Globalisierung war seines Erachtens nicht der zentrale Prozess, der Veränderungen antrieb. Beispielsweise war laut Auskunft des US -Bundesamtes für Arbeitsmarktstatistik die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland nur für 1,9 Prozent der Entlassungen in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts verantwortlich. 13 Und laut Pankaj Ghemawat von der Harvard Business School werden 90 Prozent aller Anlageinvestitionen weltweit im Inland getätigt. 14
    Der eigentliche Motor des Wandels war nach Harolds Überzeugung eine Veränderung der kognitiven Belastung. In den letzten Jahrzehnten hatten technologische und gesellschaftliche Umwälzungen immer höhere kognitive Anforderungen an den Menschen gestellt. Die Menschen müssen heute ein viel komplexeres Gefüge von Informationsflüssen aufnehmen und verarbeiten. Sie müssen durch viel komplexere soziale Umwelten navigieren. Dies geschieht sowohl in lokal gebundenen wie auch in globalisierten Bereichen, und es würde auch dann geschehen, wenn man jedes Freihandelsabkommen, das jemals unterzeichnet wurde, durch den Reißwolf jagen würde.
    Das Globalisierungsparadigma betont den Umstand, dass Informationen in Sekundenbruchteilen 25 000 Kilometer zurücklegen können. Das Paradigma der kognitiven Belastung hingegen sagt, dass die letzten paar Zoll der wichtigste Abschnitt dieser Strecke sind – die Entfernung zwischen den Augen oder Ohren einer Person und den verschiedenen Hirnarealen. Durch welche Art von Linse nimmt der Einzelne die Information wahr? Ist die Person in der Lage, die Information zu verstehen? Ist sie so geschult, dass sie Nutzen daraus ziehen kann? Welche Emotionen und Gedanken löst die Information aus? Gibt es kulturelle Voraussetzungen, die die Art und Weise, wie sie interpretiert wird, verzerren oder erleichtern?
    Diese Veränderung der kognitiven Belastung hat viele weitreichende Auswirkungen gehabt. Sie hat

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