Das soziale Tier
Anfälle im Schläfenlappen und umwerfende Orgasmen auslösen. 8 Ein Mann, der von V. S. Ramachandran an der University of California in San Diego untersucht wurde, erlebte Orgasmen in seinem Phantomfuß. 9 Sein Fuß war amputiert worden und das dem Fuß zugeordnete Hirnareal lag brach. Da das Gehirn plastisch und anpassungsfähig ist, wurden Empfindungen aus dem Penis in den ungenutzten Bereich weitergeleitet, und der Mann spürte fortan seine Orgasmen in einem Fuß, der nicht mehr da war.
Wenn sich Rob und Julia liebten, breiteten sich rhythmische Vibrationen in ihrem Körper und ihrem Geist aus. Julia besaß jene mentalen Eigenschaften, die mit der Leichtigkeit des Orgasmus assoziiert sind – die Bereitschaft, auf mentale Kontrolle zu verzichten, die Fähigkeit, sich hypnotisieren zu lassen, die Unfähigkeit, ihre Gedanken beim Sex zu steuern –, und sie hatte das Gefühl, wieder einmal auf dem richtigen Weg zu sein. 10 Einige Minuten später stellte ihr Stirnhirn den Betrieb teilweise ein, während ihr Tastsinn immer empfindlicher wurde. Sie verloren ihr gesamtes verbliebenes Bewusstsein ihrer selbst, jegliches Gefühl für Zeit oder dafür, wo der Körper des anderen aufhörte und der eigene begann. Ihre optischen Wahrnehmungen bestanden nur noch aus einer Reihe abstrakter Farbflecke. Das Ergebnis waren zwei synchrone, tief befriedigende sexuelle Höhepunkte und schließlich, durch die Magie der Bienen und der Blumen, ein Sohn.
Kapitel 3 Innenschau
Es ist bedauerlich, davon berichten zu müssen, aber leider hatte Julia auch mit Ende 20 ihre »Spring-Break-Persönlichkeit« noch nicht abgelegt, im Gegenteil. Unter der Woche verantwortungsvoll und ehrgeizig, machte sie samstagabends ganz gehörig einen drauf. In diesen Anwandlungen fand sie es cool, die freche Göre herauszukehren. Sie hielt es noch immer für ein Zeichen gesellschaftlichen Wagemuts, die ungehobelte, über die Stränge schlagende, sich total verausgabende Lady-Gaga-Anhängerin zu geben – inklusive Stringtanga und pinkfarbenem Lippenstift. Sie glaubte noch immer, sie könnte ihre Sexualität dadurch kontrollieren, dass sie Dekolletee trug, und das Stacheldraht-Tattoo an ihrem Oberschenkel hielt sie für ein Zeichen körperlichen Selbstbewusstseins. Auf Partys war sie eine Stimmungskanone, immer die Erste, wenn es um Trinkspiele und neugieriges Küssen zwischen Frauen ging. Zu vorgerückter Stunde machte sie es sich gern im Kreise von Betrunkenen gemütlich und kam dabei der Schlampen-Linie gefährlich nahe, ohne sie jedoch jemals wirklich zu übertreten.
Bis weit in ihre Schwangerschaft hinein, das muss ehrlicherweise gesagt werden, ging ihr kein ernstzunehmender mütterlicher Gedanke durch den Sinn. Harold, der sich zu diesem Zeitpunkt gerade in ihrem Schoß entwickelte, würde sich anstrengen müssen, wenn er die Mutter aus ihr machen wollte, die er verdiente.
Er begann frühzeitig und eifrig mit seiner Arbeit. Zu diesem Zeitpunkt der Fötalentwicklung bildeten sich in Harolds Gehirn 250 000 Zellen pro Minute; 1 bei seiner Geburt hatte er über 20 Milliarden davon. 2 Schon bald begannen seine Geschmacksknospen zu funktionieren, sodass er wahrnahm, wann das Fruchtwasser um ihn herum süß und wann es nach Knoblauch schmeckte, je nachdem, was seine Mutter zu Mittag aß. Föten trinken mehr Fruchtwasser, wenn Süßstoff zugeführt wird. 3 In der 17. Woche begann er seine Umgebung zu ertasten. Er berührte die Nabelschnur und drückte seine Finger zusammen. 4 Auch eine größere Empfindlichkeit für die Welt jenseits des Uterus entwickelte er in dieser Zeit. Mit fünf Monaten weicht ein Fötus schmerzhaften Reizen aus; wenn jemand eine helle Taschenlampe direkt auf Julias Bauch richtete, spürte Harold das Licht und wandte sich ab.
Im letzten Schwangerschaftsdrittel träumte Harold, beziehungsweise er führte zumindest die gleichen Augenbewegungen aus, die Erwachsene machen, wenn sie träumen. 5 Zu diesem Zeitpunkt konnte die wahre Arbeit der Operation Mutterschaft beginnen. Harold war noch immer ein Fötus, und das, was wir Bewusstsein nennen, war bei ihm noch kaum entwickelt. Trotzdem konnte er bereits akustische Signale wahrnehmen und sich an die Stimme seiner Mutter erinnern. Neugeborene saugen fest an einer Brustwarze, wenn ihnen eine Aufnahme der Stimme ihrer Mutter vorgespielt wird, während sie nur schwach saugen, wenn sie die Aufzeichnung der Stimme einer anderen Frau hören. 6
Er lauschte nicht nur auf Töne, sondern auch auf
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