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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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auf dem Weg ins Bett vor dem Bad stehen lässt.
    Dann kam der Abend mit der Kinokarte. Rob kam auf dem Weg von der Arbeit nach Hause an einem Kino vorbei, in dem ein Film lief, den er sehen wollte. Wie er es als Junggeselle oft getan hatte, kauft er sich spontan eine Eintrittskarte. Er rief Julia an, um ihr zu sagen, dass er ein paar Kumpels per SMS eingeladen habe, mit ins Kino zu kommen, und es daher heute Abend spät werden würde. Er war in aufgeräumter Stimmung, als er anrief, und dementsprechend geschockt, als er spürte, dass die Temperatur am anderen Ende der Leitung um 200 Grad fiel. Er hörte Julia jene Art von Atemübungen machen, die man gewöhnlich praktiziert, wenn man den Impuls zu unterdrücken sucht, einen anderen Menschen mit einer Axt zu erschlagen. Bald war klar, dass er an diesem Abend nicht ins Kino gehen würde. Und mehr noch: dass es jetzt grundsätzlich mit solchen spontanen Unternehmungen vorbei war und dass die Ehe nicht einfach eine durch Servierteller und regelmäßigen Sex erweiterte Fortsetzung der Jugend ist.
    Mit Sätzen, wie man sie einem besonders begriffsstutzigen Kind im Vorschulalter gegenüber verwendet, wurde Rob unmissverständlich klargemacht, dass das Leben von jetzt an viel mehr Rücksichtnahme und gemeinsame Planung von ihm verlangte und dass er seine sorglos-egoistische Einstellung nach dem Motto »Ich tu’, was mir gefällt« abzulegen hatte.
    Sobald sich dieser unbewusste Paradigmenwechsel in Robs Kopf vollzogen hatte, entwickelte sich die Beziehung relativ harmonisch weiter. Beide stellten ihre häuslichen Monroe-Doktrinen vor, jene Bereiche ihres Lebens, die sie als unantastbar ansahen und in denen sie Einmischung von außen nicht dulden würden. Beide freuten sich über die Kompromisse, die jeder von ihnen aus Liebe zum anderen einging. Jedes Mal, wenn Rob es nicht vergaß, die Klobrille herunterzuklappen, bewunderte er sich selbst für seinen selbstlosen Edelmut. Jedes Mal, wenn Julia so tat, als würden ihr Actionfilme gefallen, verglich sie sich im Stillen mit Mutter Teresa.
    Und so begann die eheliche Arbeitsteilung. Beide fühlten sich dabei zu den Bereichen hingezogen, die ihnen besonders viel bedeuteten. Rob beispielsweise übernahm die gesamte Urlaubsplanung, weil er sich insgeheim für einen brillanten Taktiker hielt, der bei jedem gestrichenen Flug, Chaos am Flughafen oder Hotelproblem eine Lösung wusste. Dies hatte allerdings zur Folge, dass Julia das gigantische Wanderpensum, das Rob im Urlaub vorgab – sechs Weinberge vor dem Mittagessen –, durchstehen musste. Ihr war das aber immer noch lieber, als mit dem Mitarbeiter eines Reisebüros sämtliche Urlaubsprospekte durchgehen zu müssen. Julia wiederum kümmerte sich um alle Fragen rund um das Thema Einrichtung. Wenn Rob bei Abstechern in flippige Möbelgeschäfte keine scharfsinnigen Kommentare abgeben wollte, konnte er auch kaum erwarten, bei Kaufentscheidungen das letzte Wort zu haben.
    Die Beziehungszufriedenheit in einer Ehe folgt im Allgemeinen einer U-Kurve. 1 In den ersten Ehejahren sind Paare ausgesprochen glücklich. Dann nimmt ihre Zufriedenheit eigenen Angaben zufolge allerdings deutlich ab und erreicht den Tiefststand, wenn die Kinder in die Pubertät kommen. Schließlich, wenn es auf die Rente zugeht, steigt sie wieder. Frisch verheiratet waren Rob und Julia tatsächlich überglücklich und passten auch wirklich gut zusammen. Außerdem hatten sie fast jeden Tag Sex miteinander.
    Fortpflanzung
    Einmal, ungefähr sechs Monate nach ihrer Hochzeit, standen Julia und Rob spät auf und brunchten in einem Lokal mit rustikaler Einrichtung und abgenutzten Holztischen. Anschließend erledigten sie ein paar Einkäufe und besorgten sich Sandwiches, die sie auf einer Bank im Park aßen. Sie waren empfänglich für alle möglichen Empfindungen: wie sich das Brot in ihren Händen anfühlte und wie die Kieselsteine, die sie in einen Teich warfen. Geistesabwesend betrachtete Julia Robs Hände, als er mit einem kleinen Plastikmesser Senf auf seinem Sandwich verstrich. Mit ihren bewussten Gedanken war sie ganz bei der Geschichte, die sie ihm erzählte, aber unbewusst wurde sie immer erregter. Rob lauschte zwar ihren Worten, doch ohne darüber nachzudenken, betrachtete er währenddessen auch eine weiche kleine Hautfalte in ihrem Nacken.
    In seinem Hinterkopf spürte er das Verlangen, sofort mit ihr Sex zu haben, wenn sich ein Busch geeigneter Größe in der Nähe finden würde. Wissenschaftler haben lange

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