Das soziale Tier
Firmenkulturen hervorzubringen, und andere dabei scheiterten. Sie sollte lernen, wie sich internationale Konzerne kulturelle Vielfalt zunutze machten. In einer Geschäftswelt voller Ingenieure und Finanzexperten könnte sie mit ihrer kulturellen Kompetenz punkten. Dies wäre ihr Alleinstellungsmerkmal. Es gäbe immer eine Nachfrage nach jemandem mit derartigen Fachkenntnissen. Wie viele weibliche Workaholics aus einem Ghetto mit chinesisch-mexikanischen Wurzeln gab es schon?
Der erweiterte Geist
Vor Jahrmillionen wanderten große Säugetiere auf der Erde herum. Michael Tomasello hat behauptet, dass intelligente Säugetiere wie Affen sich recht gut darauf verstehen, innovative Lösungen für alltägliche Probleme zu finden. 27 Nicht gut sind sie darin, ihre Entdeckungen an künftige Generationen weiterzugeben. Nichtmenschliche Säugetiere haben offensichtlich nicht den Impuls, ihresgleichen zu unterweisen. Man kann einem Schimpansen die Zeichensprache beibringen, aber dieser Schimpanse wird die Zeichensprache nicht seinen Artgenossen oder seinen Kindern beibringen, sodass sie sich in dieser Sprache miteinander verständigen könnten. 28
Menschen sind anders. Sie sind bei ihrer Geburt viel schlechter für das Leben gerüstet als viele andere Tiere. Die genetischen Anweisungen sind bei ihnen recht diffus, weshalb sie nach der Geburt viele Jahre lang nicht selbstständig überlebensfähig sind. Der bedeutende Anthropologe Clifford Geertz nannte den Menschen einmal das »unfertige Tier«. Und er fuhr fort: »Das, was ihn am deutlichsten von den Nicht-Menschen unterscheidet, ist weniger seine reine Lernfähigkeit (so groß diese auch ist) als vielmehr der Umstand, wie viel und besonders welche Art von Dingen er lernen muss, bevor er überhaupt funktionieren kann.« 29
Menschen sind erfolgreich, weil sie die Fähigkeit besitzen, hochentwickelte Kulturen hervorzubringen. Eine Kultur ist die Gesamtheit von Gewohnheiten, Praktiken, Überzeugungen, Argumenten und Spannungen, die das menschliche Leben regeln und lenken. Jede Kultur gibt bestimmte praktische Lösungen für Alltagsprobleme weiter – etwa woran man Giftpflanzen erkennt und wie man erfolgreiche Familienstrukturen aufbaut. Kultur bildet außerdem, wie Roger Scruton beobachtet hat, das Gefühlsleben aus. Sie besteht aus Erzählungen, Feiertagen, Symbolen und Kunstwerken, die implizite und oftmals unbemerkte Botschaften darüber enthalten, wie man fühlen, reagieren oder welche Bedeutung man einer Sache geben soll.
Ein einzelnes menschliches Bewusstsein könnte die riesige Vielfalt flüchtiger Stimuli, denen es ausgesetzt ist, gar nicht bewältigen. Wir können in der Welt nur funktionieren, weil wir in den Ordnungsrahmen der Kultur eingebettet sind. Wir eigenen uns ethnische Kulturen, institutionelle Kulturen und regionale Kulturen an, die uns den größten Teil des Denkens abnehmen.
Das Beeindruckende an der Menschheit sind nicht die hoch aufragenden Genies, die individuelle Meisterwerke hervorbringen. Beeindruckend ist vielmehr die Tatsache, dass Gruppen von Menschen mentale Ordnungsraster hervorbringen, die unser zukünftiges Denken in bestimmte Bahnen lenken. Kein Individuum allein könnte ein modernes Flugzeug bauen, aber moderne Unternehmen tragen das institutionelle Wissen in sich, das es einer Gemeinschaft von Menschen ermöglicht, Flugzeuge zu entwerfen und zu bauen.
»Wir erschaffen ›Designer-Umwelten‹, in denen der menschliche Intellekt die rechnerischen Kapazitäten des nicht verbesserten biologischen Gehirns weit hinter sich lassen kann«, schreibt der Philosoph Andy Clark. 30 Anders als andere Tiere, so fährt er fort, besitzen Menschen die Fähigkeit, Gedanken zu äußern – soziale Mechanismen zu entwickeln, die Wissensbestände enthalten.
Das Gehirn des Menschen, so Clark, »unterscheidet sich nicht sonderlich von den fragmentierten, spezialisierten, verhaltensorientierten Organen anderer Tiere und autonomer Roboter. In einer entscheidenden Hinsicht aber übertreffen wir sie: Wir sind Meister darin, unsere physikalischen und sozialen Welten so zu strukturieren, dass wir aus diesen widerspenstigen Ressourcen komplexe, kohärente Verhaltensweisen hervorbringen können. Wir können unsere Umwelt mit Hilfe unserer Intelligenz so strukturieren, dass wir mit weniger Intelligenz zurechtkommen. Unsere Gehirne machen die Welt intelligenter, sodass wir in Frieden dumm sein können! Oder, um es anders auszudrücken, das menschliche Gehirn plus
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