Das soziale Tier
diese Teile externer Ordnungsraster bilden schließlich die intelligente, rationale Maschine logischen Schlussfolgerns, die wir Geist nennen. So gesehen sind wir schlau – aber unsere Grenzen erstrecken sich weiter in die Welt hinein, als wir vielleicht ursprünglich glaubten.« 31
Erfolgreiche Kulturen
Erica belegte Kurse in Soziologie, Psychologie, Geschichte, Literatur, Marketing und Verhaltensökonomik – alles Fächer, von denen sie glaubte, sie würden ihr helfen, die gemeinsame Grundlage des menschlichen Geistes zu verstehen.
Alle Kulturen haben bestimmte gemeinsame Merkmale, die in unserem genetischen Erbe gespeichert sind. Anthropologen sagen uns, dass alle Kulturen Farben unterscheiden. Dabei beginnen alle mit den Wörtern für Weiß und Schwarz. Wenn die Kultur ein Wort für eine dritte Farbe hinzufügt, ist es immer Rot. 32 Außerdem nehmen alle Menschen dieselben elementaren mimischen Ausdrucksweisen von Furcht, Ekel, Glück, Verachtung, Wut, Traurigkeit, Stolz und Scham wahr. Blind geborene Kinder zeigen auf ihren Gesichtern Emotionen auf die gleiche Weise wie Kinder, die mit intaktem Sehsinn zur Welt kommen. 33 Alle Menschen unterteilen die Zeit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Fast alle fürchten sich, zumindest zunächst, vor Spinnen und Schlangen, also Tieren, die eine Gefahr für unsere steinzeitlichen Vorfahren darstellten. Alle menschlichen Gesellschaften bringen Kunst hervor. Sie alle missbilligen, zumindest in der Theorie, Vergewaltigung und Mord. Und alle träumen von Harmonie und beten zu Gott.
In seinem Buch Human Universals listet Donald E. Brown Merkmale auf, die Menschen überall gemeinsam sind. 34 Die Liste ist sehr lang. Alle Kinder fürchten sich vor Fremden und ziehen von Geburt an Zuckerlösungen purem Wasser vor. Alle Menschen finden Gefallen an Geschichten, Mythen und Sprichwörtern. In allen Gesellschaften neigen Männer stärker zu Gewalttätigkeit in Gruppen als Frauen, und sie bewegen sich weiter weg von ihren Wohnstätten. In allen Gesellschaften sind Männer, die heiraten, im Schnitt älter als Frauen. Überall stufen Menschen sich gegenseitig nach dem Prestige ein. Auf der ganzen Welt teilen Menschen andere Menschen danach ein, ob sie ihrer Gruppe angehören oder nicht. All diese Tendenzen sind weit unterhalb der Bewusstseinsschwelle verankert.
Aber niemand lebt in einer allgemeingültigen Kultur. Wir alle leben in spezifischen Kulturen, die sich voneinander unterscheiden. In Deutschland geschriebene und aufgeführte Theaterstücke haben dreimal so oft ein tragisches oder unglückliches Ende wie Theaterstücke, die in den Vereinigten Staaten geschrieben und inszeniert werden. 35 Die Hälfte aller Menschen in Indien und Pakistan sagt, sie würden auch ohne Liebe heiraten, aber nur zwei Prozent der Japaner würden dies tun. 36 Fast ein Viertel der Amerikaner gibt an, sie hätten oft Angst davor, in sozialen Situationen etwas Falsches zu sagen, während es in Japan 65 Prozent sind, die dies fürchten. 37 In ihrem Buch Drunken Comportment schreiben Craig MacAndrew und Robert B. Edgerton, dass betrunkene Männer in manchen Kulturen Schlägereien anzetteln, während sie das in anderen fast nie tun. 38 In einigen Kulturen werden betrunkene Männer leidenschaftlicher, in anderen Kulturen nicht.
Forscher von der University of Florida beobachteten Paare, die in verschiedenen Städten der Welt zusammen Kaffee tranken. 39 In London berührten sich die Paare kaum. In Paris wurden pro Kaffee 110 Berührungen beobachtet. In San Juan auf Puerto Rico waren es 180.
Nicholas A. Christakis und James H. Fowler berichten in ihrem Buch Connected, dass zehn Prozent der Amerikaner im Erwerbsalter angeben, an Rückenschmerzen zu leiden, während es bei den Dänen 45 Prozent und bei den Deutschen sogar 62 Prozent sind. In einigen asiatischen Kulturen sind Rückenschmerzen weitgehend unbekannt, aber viele Männer dort leiden an Koro , einer psychischen Störung, mit der die ausgeprägte Angst einhergeht, ihr Penis würde schrumpfen, sich in ihren eigenen Körper zurückziehen und sie würden daran sterben. Die Behandlung besteht darin, dass man ein Familienmitglied, dem man vertraut, darum bittet, den Penis 24 Stunden am Tag zu festzuhalten, bis die Angst verschwindet.
Wenn man auf einem Gehsteig in Nordamerika zufällig einen Mann anrempelt, wird der Testosteronspiegel in seinem Blut nicht merklich ansteigen. Rempelt man aber einen Mann in Südamerika an, wo eine Kultur der
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