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Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Titel: Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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eine fürchterliche Situation geraten. Aber er hat verdammt noch mal ein Recht auf eine eigene Meinung. Er hat ein Recht darauf, angehört zu werden. Es gibt genug, die sich einfach verdrückt hätten, und er hat es nicht, wofür ich ihn bewundere. Er hat den Mut aufgebracht, zu bleiben und sich mit uns ausbilden zu lassen, während er darauf wartet, wie sie seinen Fall entscheiden. Wenn sie denn je so weit kommen. Und bis dahin muss er sich von einem Haufen Tölpel drangsalieren und erniedrigen lassen, die nicht genug Verstand im Kopf haben, sich zu überlegen, dass man nicht einfach so aus einer Laune heraus andere Menschen umbringt, sondern dass das der ernsteste Verstoß gegen die natürliche Ordnung der Dinge überhaupt ist.«
    »Ich wusste gar nicht, dass du so ein Utopist bist, Will«, sage ich mit einem stichelnden Unterton in der Stimme.
    »Komm mir nicht so von oben herab, Tristan«, fährt er mich an. »Mir gefällt es einfach nicht, wie Wolf behandelt wird. Und deshalb sage ich wieder und wieder: Was er vertritt, hat viel für sich.«
    Ich erwidere darauf nichts, sehe nur unverwandt geradeaus und verenge die Augen, als hätte ich am Horizont eine Bewegung gesehen, wobei wir beide nur zu gut wissen, dass es nicht so ist. Ich will dieses Thema nicht weiterverfolgen. Ich will nicht mit Will streiten. Ehrlich gesagt bin ich ja seiner Meinung, mir gefällt nur ganz und gar nicht, dass er Wolf so respektiert und, ja, sogar zu ihm aufblickt, während ich nicht mehr als ein Freund und Kumpel für ihn bin, jemand, mit dem er vorm Einschlafen noch ein paar Worte wechselt und mit dem er sich bei den entsprechenden Aufgaben zusammentut, weil wir in Bezug auf Schnelligkeit, Kraft und Geschicklichkeit gut zusammenpassen, die drei Faktoren, die den englischen Soldaten laut Sergeant Clayton vom deutschen unterscheiden.
    »Hör zu, es tut mir leid«, beginne ich nach langem Schweigen. »Ich mag Wolf ziemlich, wenn ich ehrlich bin. Ich wünschte nur, dass er nicht immer so einen Aufstand wegen allem macht.«
    »Reden wir nicht mehr davon«, sagt Will und bläst sich geräuschvoll in die Hände, und es freut mich, dass sein Ton nicht aggressiv klingt. »Ich will nicht mit dir streiten.«
    »Nun, ich will auch nicht mit dir streiten«, sage ich. »Du weißt, wie viel mir deine Freundschaft bedeutet.« Will dreht sich zu mir hin und sieht mich an, und ich höre seinen schweren Atem. Er beißt sich auf die Lippe, scheint etwas erwidern zu wollen, überlegt es sich dann aber anders und dreht sich wieder weg.
    »Weißt du was, Tristan«, sagt er nach einer Weile und wechselt demonstrativ das Thema. »Du rätst nie, was heute für ein Tag ist.«
    Ich überlege einen Augenblick, dann ist es mir klar. »Dein Geburtstag«, sage ich.
    »Woher weißt du das?«
    »Das habe ich geraten.«
    »Und was hast du für mich?«, fragt er und schenkt mir ein unverschämtes Lächeln, das die Kraft hat, alle anderen Gedanken aus meinem Kopf zu vertreiben. Ich beuge mich vor und boxe ihn auf den Oberarm.
    »Das«, sage ich, und er schreit gespielt auf und reibt sich die schmerzende Stelle. Ich grinse ihn einen Moment lang an, bevor ich wieder wegsehe.
    »Na, dann mal alles verflucht Gute«, sage ich und mache unseren geliebten Corporal Moody nach.
    »Meinen ganzen verfluchten Dank«, antwortet Will und lacht.
    »Wie alt bist du geworden?«
    »Das weißt du genau, Tristan. Ich bin schließlich nur ein paar Monate älter als du. Neunzehn bin ich jetzt.«
    »Neunzehn und noch nie geküsst«, sage ich, ohne über meine Worte nachzudenken und darauf einzugehen, dass er tatsächlich nicht nur ein paar Monate, sondern anderthalb Jahre älter ist als ich. Meine Mutter hat das immer gesagt, ganz egal, wie alt der- oder diejenige gerade geworden war. Ich meine nichts Bestimmtes damit.
    »Na, jetzt mal ganz ruhig, alter Knabe«, sagt Will und sieht mich mit einem halben Lächeln an, in das sich ein Anflug von Beleidigtsein mischt. »Geküsst worden bin schon öfter. Du etwa nicht?«
    »Natürlich«, sage ich, schließlich hat Sylvia Carter mich geküsst. Und es gab noch einen. Zwei Küsse, zwei Katastrophen.
    »Also, wenn ich jetzt zu Hause wäre«, sagt Will, zieht die Worte betont in die Länge und spielt damit das Spiel, mit dem wir uns jedes Mal die Zeit vertreiben, wenn wir zusammen Wache schieben, »hätten meine Eltern wahrscheinlich eine Art Dinnerparty organisiert und sämtliche Nachbarn eingeladen, damit sie mir Geschenke machen.«
    »Das klingt ja

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