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Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Titel: Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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in ihren verdammten Krieg gezogen ist …« Sie hatte die Stimme erhoben, und ich sah den Gesichtern der Vorbeigehenden an, was sie dachten. Typisch, die Bancroft wieder mal. Was soll man von der schon anderes erwarten, als dass sie auf der Straße herumschreit. »Jetzt, da das alles hinter uns liegt, Tristan, hat mein armer Leonard beschlossen, dass er einen fürchterlichen Fehler gemacht hat. Zur Hölle mit seinem Vater, zur Hölle mit seiner Mutter und der verdammten Registrierkasse, er will mich zurück. Aber er kriegt mich nicht. Weder heute noch morgen. Niemals.«
    »Gut«, sagte ich in dem Versuch, sie zu beruhigen. »Es tut mir leid. Jetzt begreife ich das alles.«
    »Die Menschen tun so, als wären wir in Schande gefallen. Können Sie das verstehen?«, fragte sie endlich ruhiger. Tränen traten ihr in die Augen. »Das Paar im Café eben. Diese unverfrorene Frechheit. Diese Gefühllosigkeit. Oh, Tristan, sehen Sie mich nicht so an. Tun Sie nicht so, als wäre es Ihnen nicht aufgefallen.«
    Ich zog die Brauen zusammen, weil ich mich nur an das Paar erinnern konnte, das zunächst in unserer Nähe gesessen, sich dann aber an einen abgelegeneren Tisch zurückgezogen hatte, um sein Rendezvous fortzusetzen.
    »Meinetwegen haben sie den Tisch gewechselt«, weinte sie. »Als ich von der Toilette zurückkam und sie gesehen haben, wer sich da in ihre Nähe setzen wollte, sind sie umgezogen, um so weit weg von mir zu sein wie nur möglich. Das ist es, womit ich jeden Tag zu kämpfen habe. Es ist nicht mehr so schlimm, wie es schon mal war, das stimmt, zu Anfang war es absolut grauenhaft, aber in gewisser Weise ist es jetzt noch schlimmer, weil die Leute wieder mit mir reden. Es bedeutet, dass sie Will völlig vergessen haben, was ich nie tun werde. Sie behandeln meine Eltern und mich, als würden sie uns vergeben, als gäbe es da tatsächlich etwas, das sie uns vergeben müssten. Dabei sollten wir ihnen vergeben, wie sie uns und wie sie Will behandelt haben. Aber ich sage nichts. Ich bin voller toller Ideen, was ich tun und sagen könnte, Tristan. Das würden Sie merken, wenn Sie dumm genug wären, länger hierzubleiben. Aber mehr ist es auch nicht. Es sind nur Ideen. Tief im Herzen bin ich genau der Feigling, für den alle meinen Bruder halten. Ich will ihn verteidigen, aber ich kann es nicht.«
    »Ihr Bruder war kein Feigling«, sagte ich. »Das müssen Sie mir glauben, Marian.«
    »Natürlich glaube ich Ihnen«, fuhr sie mich an. »Ich denke nicht einen Moment lang, dass er ein Feigling war. Wie könnte ich das auch? Ich, die ihn am besten kannte? Er war der Mutigste von allen. Aber versuchen Sie mal, das den Leuten hier zu erklären, dann werden Sie schon sehen, wie weit Sie kommen. Die Leute schämen sich für ihn, verstehen Sie? Für den einzigen Jungen aus der gesamten Grafschaft, der je wegen Feigheit von einem Exekutionskommando hingerichtet wurde. Sie schämen sich für ihn. Sie verstehen nicht, wer er ist. Wer er war. Das haben sie nie. Aber Sie kannten ihn, Tristan, Sie haben ihn verstanden, oder? Sie wissen, wer er war.«

In die Sonne blinzeln
    Frankreich, Juli bis September 1916

E in Schrei der Verzweiflung und Müdigkeit dringt tief aus meinem Leib, als die Wand hinter mir zusammenzubrechen beginnt und sich in einen langsam dahinfließenden Strom aus dickem schwarzem, rattenverseuchtem Matsch auflöst, der mir über den Rücken läuft und in die Öffnungen meiner Stiefel dringt. Ich spüre, wie der Schlamm meine längst durchweichten Strümpfe erreicht, werfe mich der Strömung entgegen und versuche, die Barrikade mit letzter Kraft an ihrem Platz zu halten, bevor sie mich unter sich begräbt. Ein Schwanz gleitet über meine Hand, schlägt nach mir, dann noch einer, ein scharfer Biss.
    »Sadler!«, schreit Henley mit heiserer Stimme. Sein Atem geht schwer. Er steht nur ein, zwei Schritte weiter, mit Unsworth neben sich, glaube ich, und dann kommt Corporal Wells. Der Regen fällt so dicht, dass ich ihn zusammen mit dem widerlichen Dreck von den Lippen spucken muss, und es ist schwer, sehr schwer, irgendwen zu erkennen. »Die Sandsäcke sind da. Stapel sie so hoch, wie es geht.«
    Ich mache einen Schritt und versuche, die Stiefel aus dem metertiefen Schlick zu ziehen. Das fürchterliche Sauggeräusch, mit dem sie sich aus dem Dreck lösen, erinnert mich an das letzte verzweifelte Keuchen eines Menschen, der um Luft ringt. Vergeblich.
    Instinktiv öffne ich die Arme, als einer der Säcke voller Erde in

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