Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler
Sauberkeitsfanatiker? Verteile ich Scheiße auf seiner Leiche?
»Mach schon weiter, Mann!«, schreit jetzt eine Stimme zu meiner Linken, und wer immer es ist – Hobbs? –, er pumpt mehr Wasser weg, während ich mit meinem Eimer weiterschöpfe, tiefer und tiefer, die Brühe aus dem Graben befördere und mich erneut bücke. Und dann kommt ein schwerer Körper angerannt, zu schnell, rutscht im Matsch aus, flucht, fängt sich wieder, drängt an mir vorbei und wirft mich um. Ich falle, kopfüber, lande mit dem Gesicht in der Brühe, dem Wasser, der Scheiße, spucke den widerlichen Dreck aus und versuche, mich mit der Hand zurück in die Höhe zu hebeln. Aber meine Hand versinkt nur tiefer und tiefer im Dreck, und ich denke: Wie kann das sein? Wie kann mein Leben in diesen Dreck und dieses Elend geraten sein? Früher bin ich an warmen Nachmittagen mit Freunden ins Freibad gegangen. Wir haben mit den von den Bäumen gefallenen Rosskastanien in Kew Gardens gespielt und sie in Essig gekocht, um unsere Siegchancen zu verbessern.
Eine Hand reckt sich herunter zu mir und hilft mir auf.
Um uns herum ist jetzt großes Geschrei, ohne dass ich was verstehen würde, und plötzlich schwappt Wasser über mein Gesicht. Wo kommt das jetzt her?, frage ich mich. Wird der Wind stärker und trägt den Regen mit sich? Jemand drückt mir meinen Eimer in die Hand, und ich drehe den Kopf, um zu sehen, wer mir geholfen hat. Sein Gesicht ist dunkel, verdreckt, kaum erkennbar, aber dann fange ich kurz seinen Blick auf, den Blick des Mannes, der mich hochgezogen, der mir geholfen hat, und wir sehen einander an, Will Bancroft und ich, und er sagt kein Wort, bevor er sich umdreht und weiterläuft. Ich weiß nicht, wohin er will, er ist nicht hergeschickt worden, um uns zu helfen, sondern muss weiter den Graben hinunter, zwanzig, dreißig Meter, hinein in eine andere Scheußlichkeit.
»Es wird schlimmer«, ruft Denchley und sieht einen Moment lang zum Himmel hinauf, und ich tue es ihm nach, schließe die Augen und lasse den Regen auf mein Gesicht fallen. Der Regen wäscht die Scheiße weg, und ich weiß, ich habe nur ein paar Sekunden, ihn zu genießen, bis Wells wieder schreit, ich soll meinen Eimer füllen und den Graben trockenlegen, diesen verdammten, verfluchten Graben, bevor wir alle hier in dieser verdreckten, verwünschten französischen Erde begraben werden.
Ich mache mich wieder an die Arbeit, wie ich es immer tue. Ich konzentriere mich. Ich fülle meinen Eimer. Ich leere ihn über die Seite. Fülle ihn wieder und glaube, wenn ich einfach immer weitermache, wird die Zeit vergehen, und ich werde zu Hause aufwachen, und mein Vater wird die Arme um mich schlingen und mir sagen, dass mir vergeben wurde. Ich wende mich nach rechts einer tieferen Pfütze zu, sehe den Graben hinunter, die zehn, zwölf Meter, die ich davon sehen kann, und versuche auszumachen, wohin Will verschwunden ist. Ich will mich vergewissern, dass mit ihm alles in Ordnung ist, und frage mich, was ich mich immer in diesen Momenten frage: ob ich ihn je lebend wiedersehen werde.
Ein anderer Tag.
Ich wache auf, trete aus unserem Fuchsbau, in dem ich drei, vier Stunden zu schlafen versucht habe, und überprüfe meine Ausrüstung, Gewehr und Bajonett, die Munition in den Taschen vorn und hinten, die Schaufel und meine fast geleerte Flasche mit der Flüssigkeit, die sie Wasser nennen, die aber vor allem nach Chlor und Kalk schmeckt und für wiederkehrende Durchfallattacken sorgt. Vor die Wahl zwischen Dehydrierung und Scheißerei gestellt, entscheide ich mich Tag für Tag erneut für die Scheißerei. Mein Mantel ist um mich gewickelt, der Panzer unter dem Hemd gräbt sich in meine Haut, denn er ist eigentlich für einen kleineren Mann gemacht, aber verdammt noch mal, Sadler, sagen sie, wir sind hier kein Kaufhaus, das muss gehen. Ich sage mir, dass heute Dienstag ist, ohne einen Grund dafür zu haben. Sich einen Tag vorzustellen, spiegelt so etwas wie Normalität vor.
Gnädigerweise hat der Regen aufgehört, und die Wände der Gräben halten und verfestigen sich wieder. Überall stapeln sich die Sandsäcke von den vorangegangenen Tagen, schwarz und erdig. Ich habe in zwanzig Minuten Wachdienst, und wenn ich mich beeile, schaffe ich es vorher noch in die Messe. Eine Tasse Tee und etwas Rinderpastete werden mir vor dem Dienst guttun. Ich laufe neben Shields her, der fürchterlich aussieht. Sein rechtes Auge ist halb zugeschwollen und dunkel verfärbt. Über die Schläfe
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