Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler
glaube, dass es richtig ist, alles dieser einen Geschichte zuzuschreiben. Es gab bestimmt noch andere Dinge. Einige habe ich miterlebt, viele nicht. Es waren Monate unerbittlicher Belastungen, da ist über eine lange Zeit sehr viel zusammengekommen. Beantwortet das Ihre Frage?«
»Zum Teil«, sagte sie. »Ich denke nur, dass es einen Auslöser gegeben haben muss, ein besonderes Ereignis, das ihn zu so einem entschiedenen Kriegsgegner gemacht hat. Was für ein Vorfall war das, den Sie eben ansprachen?«
»Das war, nachdem wir einen der deutschen Gräben eingenommen hatten«, sagte ich. »Es ist keine angenehme Geschichte, Marian. Ich bin nicht sicher, ob Sie das hören wollen.«
»Erzählen Sie, bitte«, sagte sie. »Vielleicht hilft es, die Dinge zu erklären.«
»Wir waren zu viert«, begann ich nervös, »und wir hatten einen jungen deutschen Soldaten gefangen genommen, der als Einziger seines Regiments überlebt hatte.« Ich erzählte ihr die Geschichte von Milton und Attling und wie Will den Jungen gefunden und aus seinem Versteck geholt hatte. Ich ließ nichts aus, von Wills Entschlossenheit, ihn als Kriegsgefangenen ins Hauptquartier zu schaffen, bis zu dem Punkt, da sich der Junge in die Hose gemacht und damit Miltons Wut zum Explodieren gebracht hatte.
»Sie müssen meine Ausdrucksweise entschuldigen«, sagte ich, als ich fertig war. »Aber Sie wollten es so hören, wie es war.«
Sie nickte und wandte den Blick ab. Sie war eindeutig aufgewühlt. »Denken Sie, er hat sich die Schuld daran gegeben?«
»Am Tod des Jungen?«
»An seiner Ermordung«, verbesserte sie mich.
»Nein, ich glaube, so einfach war es nicht«, antwortete ich. »Verantwortlich war er sicher nicht. Er hat den Jungen nicht erschossen, sondern alles getan, um sein Leben zu retten. Nein, ich denke, es war die Tatsache als solche, die schiere, verdammte Grausamkeit. Am liebsten hätte er Milton gleich danach eine Kugel in den Kopf gejagt, wenn Sie es denn hören wollen. So hat er es mir hinterher gesagt.«
»Aber er hat den Jungen gefunden«, sagte sie. »Er hat ihn gefangen genommen. Hätte er es nicht getan, wäre es nie so weit gekommen.«
»Ja, aber er hat nicht damit gerechnet, dass es so ausgehen könnte.«
»Ich denke, er muss sich die Schuld daran gegeben haben«, sagte sie mit entschlossener Stimme, was mich durchaus ärgerte, schließlich war sie nicht dabei gewesen. Sie hatte Wills Gesicht nicht gesehen, als das Gehirn des deutschen Jungen auf die Wände des Grabens gespritzt war. Sie wusste nur, was ich ihr in meinem groben Versuch, den Schrecken des Vorfalls wiederzugeben, geschildert hatte. »Ich denke, so muss es gewesen sein«, fügte sie noch einmal hinzu.
»Aber so war es nicht, Marian«, sagte ich. »Sie können es nicht auf diese eine Sache reduzieren. Das ist zu einfach.«
»Was war eigentlich mit Ihnen, Tristan?«, fragte sie jetzt, und ihr Ton wurde merklich aggressiv. »Hat es Sie nicht betroffen gemacht, das mitzuerleben?«
»Selbstverständlich hat es das«, sagte ich. »Ich wollte einen Stein nehmen und Milton den Kopf einschlagen. Welcher gerecht denkende Mensch hätte das nicht tun wollen? Der Junge war in völliger Panik, er hat die letzten Minuten seines Lebens in einem Zustand reiner Angst verlebt. Da müsste man schon ein Sadist sein, um daran Gefallen zu finden. Aber wir waren alle in Panik, Marian. Jeder Einzelne von uns. Es war verdammt noch mal Krieg.«
»Hatten Sie nicht das Gefühl, sich Will anschließen zu müssen?«, fragte sie. »Aber offenbar hat es Sie nicht so betroffen gemacht wie ihn. Sie haben Ihr Gewehr in der Hand behalten. Sie haben weitergekämpft.«
Ich zögerte und dachte darüber nach. »Ich nehme an, damit haben Sie recht«, gab ich zu. »Die Wahrheit ist, dass der Vorfall nicht die gleichen Gefühle in mir ausgelöst hat wie in Ihrem Bruder. Ich weiß nicht, was das über mich besagt und ob es heißt, dass ich ein gefühlloser Mensch bin, oder gar ein Unmensch, jemand, der kein Mitleid kennt. Ja, es war schlimm und ungerechtfertigt, aber für mich war es auch etwas, das da drüben jeden Tag passierte. Ständig habe ich Menschen auf die grausamste Weise sterben sehen. Tag und Nacht habe ich in der Angst verbracht, von einem Scharfschützen erwischt zu werden. Es ist schrecklich, das so aussprechen zu müssen, aber ich habe mir erlaubt, all die Gewaltakte nicht mehr an mich herankommen zu lassen. Mein Gott, sonst hätte ich niemals …« Ich hielt inne und blieb auf der
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