Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler
scheinen fast zu glauben, dass sie drüben gestorben sind und dies hier alles eine Art merkwürdiger Traum ist. Das Fegefeuer. Oder sogar die Hölle. Klingt das nachvollziehbar für Sie, Mr Sadler?«
»Ein wenig schon«, sagte ich.
»Ich habe natürlich nie gekämpft«, fuhr der Reverend fort. »Davon habe ich keine Ahnung. Ich habe immer ein sehr friedliches Leben gelebt, in der Kirche und zu Hause mit meiner Familie. Wir sind es gewohnt, dass die ältere Generation auf die jüngere hinabsieht und ihr vorhält, nichts von der Welt zu wissen, aber durch den Krieg ist alles aus dem Lot geraten, oder? Heute ist es Ihre Generation, die die Unmenschlichkeit unserer Spezies versteht, nicht unsere. Junge Männer wie Sie müssen mit dem leben, was sie gesehen und getan haben. Sie sind die Generation mit den Antworten, während wir Älteren Sie nur ansehen und uns wundern können.«
»Heute Nachmittag«, sagte ich und setzte mich wieder. »Sie wollten mir sagen, wo Sie heute Nachmittag waren.«
»Ich habe mich mit ein paar Gemeindemitgliedern getroffen«, sagte er mit bitterer Miene. »Es gibt den Plan, ein Mahnmal zu errichten. Für alle aus Norwich, die in diesem Krieg ihr Leben gelassen haben. Irgendeine große Steinskulptur mit den Namen all derer, die getötet wurden. Das machen sie in den meisten englischen Städten, Sie werden davon gehört haben.«
»Das habe ich«, sagte ich.
»Und meist wird es von der Kirche organisiert. Der Gemeinderat kümmert sich um die Spendengelder, wir beauftragen einen Bildhauer, verschiedene Entwürfe zu machen, einer wird ausgewählt, die Namen der Gefallenen werden gesammelt, und bald schon sitzt irgendwo in einer Werkstatt jemand mit Hammer und Meißel auf einem Hocker vor einem mächtigen Steinblock und meißelt die Linien in ihn hinein, die uns an unsere verlorenen Kinder erinnern werden. Heute war der Tag, an dem die letzten Beschlüsse gefasst wurden, und da wurde natürlich auch der Priester selbst gebraucht.«
»Ah«, sagte ich, nickte leicht und wusste schon, worauf er hinauswollte.
»Können Sie sich vorstellen, wie das ist, Mr Sadler?«, sagte er mit Tränen in den Augen.
»Natürlich nicht«, sagte ich.
»Gesagt zu bekommen, dass Ihr eigener Sohn, der sein Leben für dieses Land gegeben hat, wegen seiner Feigheit nicht mit auf den Stein genommen werden kann? Weil er nicht patriotisch genug gewesen sei, ein Verräter? Diese Worte über den Jungen zu hören, den Sie großgezogen haben, den Sie bei Fußballspielen auf Ihren Schultern getragen, den Sie genährt, gewaschen und erzogen haben? Das ist grauenvoll, Mr Sadler, nichts anderes. Grauenvoll.«
»Das tut mir sehr leid«, sagte ich und war mir bewusst, wie kraftlos meine Worte klangen.
»Und was hilft mir das? Bringt mir das meinen Sohn zurück? Ein in Stein gemeißelter Name bedeutet eigentlich nichts, aber am Ende doch etwas . Verstehen Sie mich?«
»Ja, das muss schwer zu ertragen sein.«
»Wir haben unseren Glauben, der uns hilft«, sagte Mrs Bancroft, und ihr Mann warf ihr einen scharfen Blick zu, der mich vermuten ließ, dass er da nicht so überzeugt war.
»Ich kann kaum etwas dazu sagen, fürchte ich.«
»Sind Sie nicht religiös, Mr Sadler?«, fragte der Reverend.
»Nein, im Grunde nicht.«
»Seit dem Krieg stelle ich fest, dass sich die jungen Leute entweder näher zu Gott hinbewegen oder sich völlig von ihm abwenden«, antwortete er. »Das verwirrt mich. Die Frage, wie ich sie führen soll, meine ich. Ich fürchte, mit dem Alter verliere ich zunehmend den Kontakt.«
»Ist es schwer, Priester zu sein?«, fragte ich.
»Wahrscheinlich nicht schwerer als irgendein anderer Beruf«, sagte er. »Es gibt Tage, da hat man das Gefühl, es gut zu machen, und andere, da denke ich, ich bin zu nichts nütze.«
»Und glauben Sie an die Vergebung?«, fragte ich.
»Ich glaube daran, mich darum zu bemühen, ja«, sagte er. »Und ich glaube daran, sie anzubieten. Warum, Mr Sadler, was muss Ihnen vergeben werden?«
Ich schüttelte den Kopf und sah weg. Ich hatte das Gefühl, selbst wenn ich für den Rest meines Lebens in diesem Haus bliebe, würde ich diesem Mann und seiner Frau niemals direkt in die Augen sehen können.
»Ich weiß nicht recht, warum Marian Sie hergebracht hat«, fuhr der Reverend nach einer Weile fort, als klar war, dass ich nicht antworten würde. »Wissen Sie es?«
»Ich wusste nicht einmal, dass sie es vorhatte«, sagte ich. »Nicht, bis wir draußen vor der Tür standen. Ich nehme an,
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