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Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Titel: Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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sie hielt es für eine gute Idee.«
    »Aber für wen? Oh, bitte, missverstehen Sie mich nicht, Mr Sadler, ich will Ihnen nicht das Gefühl vermitteln, dass Sie hier nicht willkommen sind, aber es gibt nichts, was Sie tun könnten, um uns unseren Sohn zurückzubringen. Wenn überhaupt, erinnern Sie uns nur aufs Neue daran, was drüben in Frankreich geschehen ist.«
    Ich nickte und konnte ihm nur zustimmen.
    »Aber es gibt diese Menschen, wissen Sie, und unsere Tochter gehört dazu, die müssen immerzu herumwühlen und herumwühlen und nach den Gründen suchen, warum etwas geschehen ist. Ich gehöre nicht dazu, und ich glaube, auch meine Frau nicht. Das Wie und Warum zu kennen, ändert verdammt noch mal rein gar nichts. Vielleicht suchen wir nur nach jemandem, dem wir die Schuld geben können. Wenigstens …« Er hielt einen Moment inne und lächelte mich an. »Ich freue mich, dass Sie das alles überlebt haben, Mr Sadler«, sagte er. »Das tue ich wirklich. Sie scheinen mir ein netter junger Mann zu sein. Ihre Eltern müssen froh gewesen sein, Sie zurückzubekommen.«
    »Das kann ich nicht so sagen«, erwiderte ich mit einem Schulterzucken, und diese schnell dahingeworfene Bemerkung schockierte seine Frau mehr als alles, was ich bisher gesagt hatte.
    »Wie meinen Sie das?«, fragte sie und sah mich an.
    »Wir haben kein so enges Verhältnis«, sagte ich und bedauerte bereits, dass das Thema zur Sprache gekommen war. »Es macht nichts. Es ist nicht wirklich etwas, das mich …«
    »Aber das ist doch lächerlich, Mr Sadler«, verkündete sie, stand auf und sah mich wütend an, die Hände auf die Hüften gestemmt. Sie schien es nicht glauben zu wollen.
    »Nun, an mir liegt es nicht«, sagte ich.
    »Aber sie wissen, dass es Ihnen gut geht? Dass Sie leben?«
    »Ich denke schon«, sagte ich. »Ich habe ihnen natürlich geschrieben, aber nie eine Antwort erhalten.«
    Sie sah mich völlig entgeistert an. »Manchmal verstehe ich die Welt nicht, Mr Sadler«, sagte sie mit stockender Stimme. »Ihre Eltern haben einen Sohn, der lebt, den sie aber nicht sehen wollen. Ich habe einen Sohn, den ich sehen will, der aber tot ist. Was für Menschen sind denn das? Sind das Ungeheuer?«
    Die letzte Woche vor Aldershot war ich unsicher gewesen, ob ich meine Familie noch einmal besuchen sollte, bevor es losging. Es war durchaus wahrscheinlich, dass ich mein Leben drüben verlieren würde, und obwohl wir achtzehn Monate lang keinen Kontakt gehabt hatten, dachte ich, dass es angesichts einer solch unsicheren Zukunft vielleicht doch eine Aussöhnung geben könne. Und so beschloss ich, ihnen am Nachmittag vor meinem Einrücken einen Besuch abzustatten. Es war ein kalter Mittwoch, ich fuhr bis zum Bahnhof Kew Bridge und ging dann Richtung Chiswick High Street.
    Die Straßen und Häuser verwischten zu einer Mischung aus Vertrautheit und Ferne. Es war, als würde ich diesen Ort aus einem Traum kennen und hätte die Erlaubnis bekommen, ihn noch einmal im Wachzustand zu besuchen. Ich fühlte mich seltsam ruhig und schrieb das dem Umstand zu, als Kind hier weitgehend glücklich gewesen zu sein. Es stimmte zwar, dass mein Vater mich oft geschlagen hatte, aber daran war nichts Ungewöhnliches. Darin unterschied er sich nicht von den Vätern der meisten meiner Freunde. Und meine Mutter war immer ein liebenswürdiger, wenn auch distanzierter Mensch in meinem Leben gewesen. Ich hatte das Gefühl, sie gerne wiedersehen zu wollen. Der Grund ihrer Weigerung, sie besuchen zu dürfen oder mir auf meine Briefe zu antworten, war für mich bei meinem Vater zu suchen, der darauf bestand, jedweden Kontakt mit mir zu unterlassen.
    Je näher ich meinem Zuhause kam, desto nervöser wurde ich jedoch. Die Ladenzeile mit der Metzgerei meines Vaters kam in Sicht. Ich erkannte Peters und Sylvias Haus. Die Wohnung, in der ich aufgewachsen war, war leicht auszumachen, und ich zögerte. Unsicher setzte ich mich auf eine Bank und zog eine Zigarette aus der Tasche, um mir Mut zu machen. Ich sah auf meine Uhr und überlegte, ob ich das ganze Unternehmen nicht doch abblasen und mit dem nächsten Bus zurück in meine stille Wohnung in Highgate fahren, etwas essen und früh zu Bett gehen sollte, bevor mich der Zug am nächsten Tag in mein neues Leben als Soldat tragen würde. Ich hatte mich schon dazu entschieden, stand auf und wollte zurück Richtung Kew, als ich mit jemandem zusammenstieß, der vor Überraschung seinen Einkaufskorb fallen ließ.
    »Entschuldigung«, sagte ich und

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