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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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mich, als meine Beine den Dienst versagten. Ich verließ neben ihm das Haus in der Friedrichstraße Nummer 63 erst, nachdem ich mit eigenen Ohren gehört hatte, was die Mohren aussagten:
    »Großes Mann, dickes Bauch. Sehr viel lachen über Bauch. Nix vorher sehen je.«
    Wir kamen gegen Mitternacht in der Rossstraße an. Die Berliner feierten lautstark das heraufgezogene neue Jahr. Böller, Raketen, Prosit-Neujahr-Gerufe. In dieser Nacht schlief ich nicht, was aber nicht am Lärm lag, der lange andauerte. Erst am Morgen fiel ich in einen albdruckhaften Schlummer, aus dem ich immer wieder aufschreckte und als fürchterliches Nachbild ein Medaillon mit dem heiligen Hieronymus vor meinen Augen baumeln sah.

11
    Die Cour am Neujahrstag fand unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen statt: Doppelt so viele Gardisten wie gewöhnlich säumten die Zugangswege zum Schloss. Die neue Offenheit und Leutseligkeit des Königs, der die Kreise der hoffähigen Gäste über die Maßen erweitert hatte, führten zu langwierigen Kontrollen an den Eingängen, denn man wollte auf keinen Fall den Beilmörder im Schloss haben. Der alte Glanz war nicht zu erreichen, dazu war das Geld zu knapp. Die Königin, stilvoll angepasst der finanziellen Flaute, trug eine schlichte lila Samtrobe ohne Diamanten und Stickereien. Nur die birnenförmigen Perlen der Krone schmückten sie. Ich hatte sie nie schöner gesehen – die Fährnisse der Anreise waren ihr nicht mehr anzumerken. Stattdessen lugte mitunter die Angst vor der Gegenwart aus ihren scheuen Augen. Es gelang ihr nicht so ganz, die Bewegung zu bezwingen, die sich ihrer bemächtigte, als sie den Rittersaal des Schlosses betrat, wo alle Augen auf sie gerichtet waren.
    Die private Einladung ins Königliche Palais kam am 2. Januar und wir folgten ihr nur zu gern, da wir uns Erholung erhofften von der Pein des Silvestertages. Wir hielten uns eben bei Evelyn im Delicatess-Comptoir auf, als nach dem Boten Fürstin Radziwiłł eintrat, die sich mit Champagner versorgte. Ich hatte nicht die Chuzpe, nach etwaigen Beobachtungen im Bernard’schen Haus zu fragen, denn ich wollte mir ihre Gunst nicht verscherzen. Hochgestellte Persönlichkeiten fühlen sich sehr leicht kompromittiert und verzeihen eine Bloßstellung nie. Doch sie fing von sich aus davon an:
    »Werte Freundin – Sie haben die Bernard’sche aus nächster Nähe gesehen! Oh mein Gott – mir wurde schon schlecht, obwohl ich nur davon hörte!«
    Ich nickte unbestimmt und nutzte die Gelegenheit zur Nachfrage:
    »Mein Mann und ich verloren einen Bekannten – er wurde in der Nacht zuvor auf die gleiche Weise getötet. Ist Ihnen ein großer, muskulöser Mann aufgefallen? Oder einer, der ein auffallendes Medaillon trug?«
    Sie verneinte.
    »Ich weiß Ihnen leider gar nichts zu berichten, denn wir saßen bei einem Mokka nach dem Essen, als die ersten Schreie zu uns drangen. Danach war zum Glück alles verstopft. Ich hätte auch um nichts in der Welt die Neugier des übrigen Volkes teilen mögen – ich wollte nur eins: so schnell, wie es ging, wieder aus dieser verruchten Mördergrube herauskommen! Mein Mann hatte die absurde Idee, seine Geschäfte und Unterredungen in solchen Etablissements abzuwickeln, da er glaubte, dadurch Volksnähe zu beweisen. Künftig wird dies zum Glück nicht mehr möglich sein – Seine Majestät hat schon die Schließung aller Bor... äh ... sämtlicher Etablissements in der Innenstadt verfügt. Das Essen bei Madame Bernard war wirklich gut!«
    »Kein Wunder!«, kam es von hinten.
    Es war Evelyn, die gerade das Regal mit den englischen Konfitüren auffüllte.
    »Sie ließ das meiste bei mir einkaufen! Mit diesem Mörder würde ich gern mal ein Hühnchen rupfen!«
    »Lieber nicht, Liebste! Ohne Kopf kann man auf gar keinen mehr herabsehen«, antwortete die Fürstin recht schlagfertig.
    Tags darauf im Königlichen Palais war die Stimmung gedrückt. Die Majestäten empfingen uns im Türkischen Salon der Königin. Es gab so viel zu erzählen, doch ich merkte, dass hinter allen eher belanglosen Berichten von Memel, von Königsberg, von Tilsit und von der Reise nach Berlin ein viel profaneres Thema lauerte. Nach einem eher formellen gemeinsamen Kaffee sagte der König:
    »Vom äußersten Ende der Stadt bis zum Schloss war ein Vivatrufen, ein solches Schreien und Tumult, dass nicht mehr wusste, wo mir der Kopf stand! Kommen Sie, Marquis – lassen die Damen allein. Wollen bestimmt ein paar Worte unter sich wechseln! Müssen mir

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