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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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den Worten:
    »Ach, ich wünschte, liebe Freundin, wir würden uns unter einem günstigeren Stern wiedergetroffen haben.«
    »Jérôme? Was hat das zu bedeuten?«, flüsterte ich, doch er war zu bewegt, um zurückzuraunen, und blieb stumm neben der Königin, die ihn bat, sich zu setzen und einen weiteren Tee mit ihr einzunehmen.
    Ich schritt neben dem steif voranschreitenden König die Treppe zu seiner Etage hinunter. Als wir nach links abbogen und durch seine Zimmer gingen, fühlte ich meine Befangenheit wachsen. Im eher spartanisch eingerichteten königlichen Arbeitszimmer mit seiner königsblauen Tapete, wo einzig goldgerahmte Bilder und zwei Nussbaumbüchervitrinen dem Auge Erholung boten, stand ich zuletzt und harrte der Dinge, die da kommen mochten. Selbst der Kammerdiener Strietzel wurde fortgeschickt, nachdem er das Feuer im Kamin noch einmal tüchtig geschürt und Holz nachgelegt hatte. Ich forschte vorsichtig in des Königs Gesicht, als er die Augen abwendete, um durch die dünnen Gardinen auf die Bäume draußen zu schauen. Das Ergebnis meiner Observation war eindeutig: Sein Bart war echt, also waren er und die Königin nicht im Bernard’schen Haus gewesen. Das Rätseln hatte zum Glück ein Ende, denn er sagte:
    »Sind doch noch immer an Criminalia interessiert?«
    Er schaute mich fragend an und es hatte fast flehentlich geklungen ... Was sollte ich antworten? Ich nickte schweigend. Nach dem vorvergangenen Abend war mein Interesse wohl gedämpft, doch keineswegs erloschen. Er seufzte erleichtert, fragte aber dennoch:
    »Sicher sein, Madame? Könnte verstehen, wenn nicht ... Immerhin – Frau sein, schwaches Geschlecht sein! Zart besaitet, Romantik! Empfindsamkeit!«
    Ich lächelte, denn das war nun zu komisch.
    »Nach dem vorgestrigen Abend dürfte spätestens erwiesen sein, dass ich ganz gut meinen Mann stehe. Nein, Majestät, mein Interesse an diesem Mörder ist ungebrochen. Ich würde alles darum geben, mehr über ihn herauszufinden. Doch ohne Ihre Erlaubnis werde ich mich still verhalten.«
    Er hatte offenbar keine andere Antwort erwartet, denn er war an eine der beiden Büchervitrinen herangetreten und öffnete die gläsernen Türen mittels eines kleinen Schlüssels, den er an einer langen Halskette trug, welche er umständlich zwischen Kragen und Uniformknöpfen hervorziehen musste. Er legte die Hand auf einen Buchrücken ganz rechts unten. Ein Ausruf des Erstaunens entfuhr mir, denn die Buchrücken waren nur Attrappen auf einer Holzplatte, welche wie eine zweite Tür zur Seite schwang. Die Metalltür eines Sicherheitsschrankes kam darunter zum Vorschein. Auch sie musste, mit einem anderen Schlüssel am königlichen Geheimbund, aufgeschlossen werden – dann zog der Regent eine Akte heraus und warf sie auf einen kleinen Beistelltisch, wo sie mit einem Schnappen landete. Er berührte sie mit einem seiner makellos weißen Handschuhe aus Glacéleder, die er fast immer trug, und sagte:
    »Nicht die ersten gewesen sein – schlimme Sache das. Haben eigens eine Immediat=Spezial=Untersuchungs=Commission eingerichtet! Sammeln alles, was mit dem Casus zu tun hat. Wollen die Güte haben, verehrte Marquise, sich das einmal durchzulesen? Cognac?«
    Mein Geist arbeitete noch nicht rasch genug, doch ich begriff, was er andeuten wollte: Die Morde, mit denen wir in den letzten Tagen konfrontiert worden waren, hatten Vorläufer gehabt! Wieso hatten wir davon nichts erfahren? Weil es militärische Geheimsache war, ganz klar.
    »Ja, bitte!«, sagte ich, ohne eigentlich mitbekommen zu haben, was er zuletzt gefragt hatte.
    Er rückte mir eigens einen Sessel an den Tisch, in den ich wie betäubt hineinfiel. Ich hörte ihn eine Flasche entkorken und etwas eingießen. Als ich wieder aufschaute, sah ich ein Glas Cognac vom Format einer kugeligen kleinen Blumenvase neben der Akte stehen. Der König hatte sich an sein Schreibpult gestellt und schrieb, neben sich auch einen Cognac – Thomas Hine , dem Geruch nach zu urteilen ... Ich blätterte die Akte auf und las eine geschlagene Stunde lang, bevor mir die Blätter aus der Hand sanken und ich das Glas leerte, als enthielte es Wasser.
     
    Actum No. 1
    Aussage des Ernst Friedrich von Schlotheim, Professor der Botanik und Geognosie an der Friedrichs-Universität Halle, aufgenommen zu Jena, Freitag, 10. Oktober 1806.
    [Späterer Bleistift-Zusatz von unbekannter Archivarshand: Am Tage des verhängnisvollen und völlig unnötigen Gefechtes bei Saalfeld, in dessen unglückseligem

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