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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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ersinnen könnte ... Vor mir lag – so wenig vorauszusehen, dass ich gar einen Fuß daraufsetzte! – eine Leiche! Nur der Körper vom Hals abwärts, ohne Kopf! Ich vermeinte erst zu halluzinieren und wischte mir die Augen, allein, das Bild verschwand nicht. Ich sah ein Rinnsal Blutes aus dem Hals fließen, was meinen Herzschlag stocken ließ. Es musste folglich das Schreckliche erst unmittelbar zuvor sich ereignet haben.
    War der Torso bekleidet?
    Ja, er trug die grüne Uniform der Jäger zu Fuß: grüner Rock, grüne Weste, olivfarbene Hosen, schwarze Gamaschen. Ich sah Portepee, Schärpe und Ringkragen – dieser reichlich beblutet. Es war somit der Torso eines Vize-Feldwebels, wenn mich meine Kenntnis der Uniformen nicht ganz täuscht.
    Sehen das ganz richtig ... Erwähnten das Portepee – wo genau befand sich der Säbel? Noch am Koppel?
    Jawohl!
    Bitte weiter. Was haben Sie da gedacht, als Sie diesen Fund gemacht? Was gesehen?
    Das Erste, was mir als Erklärung durch den Kopf schoss, war: Er könnte weiter oben abgestürzt und mit großer Wucht auf einen der überall aus dem Boden ragenden Steinvorsprünge des Grabens geprallt sein. Dabei mochte sein Kopf abgerissen, aus dem Graben gesprungen und den Abhang hinabgerollt sein ... Ein absurder Gedanke, im Nachhinein, doch in dieser Sekunde kam mir nichts anderes in den Sinn. Ich kletterte aus dem Graben heraus und verfolgte die vermeintliche Bahn des verlorenen Kopfes. Nach circa dreihundert Metern fast lotrechten Abfalls querte ein dichter Bewuchs den Hang, und was immer da auch etwa hinuntergerollt, wäre vor Gebüschen und Gräsern sichtlich zur Ruhe gekommen. Allein, ein abgeschlagenes Haupt zeigte sich nicht. Eben noch Orchideen und zarte Pflanzenfossilien gesucht – und nun einen blutigen Menschenkopf! Können Sie meine Konfusion ermessen?
    Durchaus. Habe auf dem Schlachtfeld öfters nach den Köpfen meiner Leute gesucht. Mitunter auch nach meinem eigenen. Fand ihn zum Glück stets oben. Ist Ihnen beim Leichnam sonst noch etwas aufgefallen?
    O ja! Eine getrocknete Rosa abyssinica! Wo ich doch zuvor eine versteinerte Rosa lignitum, freilich nur ein Blatt, gefunden hatte.
    Ich meine selbstredend etwas, das auf den Toten Bezug nimmt!Wenn Ihnen das nicht erstaunlich scheint, so weiß ich es auch nicht.
    Keine Spuren, mein Herr – auffällige Fußspuren etwa? Spuren einer Auseinandersetzung? Schleifspuren? Huftritte?
    Schleifspuren? Huftritte?
    Der Corpus wurde möglicherweise von anderer Stelle aus dorthin geschafft.
    Verstehe ... Nein, ich habe keinerlei Spuren am Boden bemerkt. Der Waldboden war überall von Laub bedeckt. Hätte man ihn gezogen, wären die Verdrängungen des Laubes und Einkerbungen durch die Schuhe im Boden des Grabens sicher deutlich zu sehen gewesen. Hätte man ihn hingegen vorsichtig getragen, nicht. Huftritte – nein. Es könnte auch allenfalls bloß ein Maulesel oder eine Bergziege durch diese Rinne aufsteigen. Die Bäume sind oft so sehr über den Stieg gewuchert, dass ein Vorwärtskommen selbst per pedes schwerfällt.
    Was taten Sie, nachdem Sie vergeblich nach dem vermissten Kopf Ausschau gehalten?
    Da ich dort nichts weiter verrichten konnte und mich – ich muss es bekennen – auch ein gelindes Unwohlsein beschlich, denn es schien mir doch zunehmend, als könnte der Grund für des Jägers Kopflosigkeit eine Gewalttat sein und der Gewalttäter noch nahebei sich aufhalten, begab ich mich seitlich nach Osten hinab bis zur Remschützer Straße, auf der ich anschließend nach Saalfeld hineinging.
    Sah das Ganze für Sie nach dem Resultat eines kriegerischen Zweikampfes aus?
    Bei aller Fantasie, die ich aufbringen kann – nein!
    Was taten Sie nun in Saalfeld?
    Ich sprach umgehend beim Stadtkommandanten von Enderwitz vor und machte mich anheischig, Polizisten zu dem grausigen Fundort zu führen, doch in Anbetracht der angespannten Lage verwies er mich an den Prinzen Louis Ferdinand. Dieser beschied mich mit Bedauern abschlägig, da er Zusammenstöße mit einem französischen Detachement erwartete oder gar eine Bataille bevorzustehen schien, weshalb er sich nicht von der Truppe entfernen wollte. Mit zwei Waibeln ging ich nochmals an den grausigen Fundort, wo der Körper noch immer in der beschriebenen Weise lag. Auf dem Rückweg wurden wir von französischen Jägern gestellt und festgehalten. Ich hatte zum Glück mein Passeport und wurde bald wieder auf freien Fuß gesetzt, worauf ich umgehend mit der Fahrpost hierher nach Jena kam.

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