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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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Es war schlechtes Wetter, daher warf man nur etwas Erde darauf. Ein paar zur Markierung eingehauene Pfähle halfen später, den Torso wiederzufinden und ihm eine Eiche an den nicht vorhandenen Kopf zu setzen. Nur der alte Totengräber kann sie dem einsamen Besucher noch bezeichnen.
    [Späterer Tintenzusatz von Schreiberhand: Als Autor wurden der Kösliner Rittergutsbesitzer Hermann von Boyen oder der spätere Ketziner Brauer Jörg öffentlich gehandelt; beide waren aber erwiesenermaßen nicht bei den Schill’schen Jägern, was vom Verfasser für sich reklamiert wird.]
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    1 Der rote salon. Berlin 2010, s. 21

12
    Eine ganze Weile saß ich so da und sah im Geiste die Köpfe fallen. Dann zückte ich einen winzigen Bleistiftstummel und ein kleines Notizheft, das ich damals immer mit mir herumzutragen pflegte, und machte mir Notizen, während ich Blatt für Blatt noch einmal umwendete. Ich ließ Revue passieren, was ich gelesen hatte: Die wechselnden Dienstgrade und Uniformen, die der Mörder trug, seine immergleiche Mordmethode und die fast nachlässige Art, seine Beute (den Schädel) im blutigen Beutel mit sich zu führen. Immer – auch in den Fällen, die mir unmittelbar begegnet waren – hatten sich Kopfjäger und Opfer an einem vergleichsweise einsamen Ort befunden. Die Tat war mehrmals beobachtet worden, ebenso der Täter auf der Flucht bzw. bei der Entfernung vom Tatort. Dann fiel mir etwas auf und ich fragte den König, der immer noch an seinem Pult stand und schrieb:
    »Majestät, mit Verlaub! Der Auszug aus den Erinnerungen des Schill’schen Jägers schildert die Enthauptung Schills durch einen Mann, der unserem Täter äußerlich sehr ähnlich sieht. Ein Medaillon an seinem Hals wird erwähnt, sogar mit Einzelheiten. Auch die Behändigkeit, mit der er das Beil handhabt, das so oft als Tatwaffe genannt wird, dass man es mit einiger Sicherheit als solche betrachten darf, macht es sehr wahrscheinlich, dass er unser Mann ist. Wenn man seinen Namen herausbekäme, so hätten wir ihn vielleicht!«
    Des Königs Augen funkelten dunkel.
    »Schwierig, können beim Kaiser Antrag stellen. Glaube aber nicht an Erfolg. Ist uns nicht sehr wohlgesinnt.«
    Ich dachte an den kleinen, übellaunigen und genervten Mann, den ich einmal persönlich kennenlernen durfte, und stimmte innerlich dieser Einschätzung zu.
    »Sind Steckbriefe an die Grenzen abgegangen?«
    Der König nickte.
    »Ich denke, wenn es in den nächsten Tagen keine Festnahme gibt«, spann ich mein Kriminallatein fort, »wird man nur weiterkommen, wenn man nach einer Verbindung bei den Opfern sucht. Sicher: Insofern es ein irrer Mörder ist, der aus Lust mordet, ohne Sinn und Verstand, wird man damit nichts erreichen. Doch es besteht immerhin die Möglichkeit, dass bei all dem Chaos und Schrecken der Kopf des Mörders kalt und klar ist. Sein Kalkül zu ergründen, die Zwangsläufigkeit seines Tuns zu bestimmen – darin würde ich die Aufgabe sehen, die einer aufmerksamen und sensiblen Polizei hier gestellt ist.«
    Der König applaudierte mir leise mit seinen weißen Handschuhen und lächelte.
    »Marquise! Hatte auf Ihren Enthusiasm vertraut, als Ihnen diese Akte zeigte: ausgezeichneter Plan! Gingen uns bei Waisenhausgeschichte so trefflich zur Hand – wäre froh, wenn Sie diesmal wieder verpflichten könnte ...«
    Dem König schien eine Idee zu kommen. Er fügte hinzu:
    »Haben nicht Lust, an der neuen Universität zu unterrichten, Madame? Kriminalistik. Was denken Sie? Könnten das Niveau der Polizei heben, habe da keine Sorge!«
    Eine verlockende Vorstellung, die leicht zur Unzeit kam.
    »Ich werde darüber nachdenken, Majestät! Zuerst aber sollten wir mit dem Beilmörder fertig werden, finden Sie nicht?«
    »Sonnenklar. Fataler Einfall von mir. Müssen verzeihen – Fantasie mit mir durchgaloppiert! Selbstredend! Erst diesen Fall lösen. Dann unterrichten. Vorzeigefall sein!«
    Ich fühlte mich plötzlich wie von Schwingen getragen. Im Arbeitszimmer unseres Königs sitzend, von ihm mit geheimen Akten vertraut gemacht, erst gebeten, an der Universität zu unterrichten – ein Fach, das ich würde begründen und entwickeln müssen –, dann, die wohl schlimmste Mordserie aufzuklären, die Preußen jemals erschüttert (wenn man die Morde des wilden Kamaldulensermönches Einard von Wigru in den Masuren 1754 einmal außer Acht lässt): Eine andere an meiner Stelle wäre wohl übergeschnappt. Ich will mich nicht mit meinem kühlen Kopf brüsten, denn ihn zu

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