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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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aus facettiertem Rosenquarz reichten vom himmlischen Deckenareal bis fast auf Scheitelhöhe herab und sahen aus wie riesige, zum Trocknen aufgehängte versteinerte Blumensträuße. Die Fensterfront schaute in den parkähnlichen Garten hinaus, der von hohen Ziegelmauern umhegt war und sich nun pittoresk verschneit präsentierte. Ein künstlicher Fels und ein gefrorener See, ein römischer Rundpavillon im Zentrum und eine riesige Eiche im Hintergrund legten von der spielerischen Natur des einstigen Hausherrn beredtes Zeugnis ab.
    »Ich lasse alles so, wie er es geplant hat. Es ist eine kleine, in sich vollkommene Welt. Paradiesisch im Sommer – je nachdem, wonach mir der Sinn steht, bin ich entweder im Gebirge, an der See oder im Wald. Ich muss mich nur im Pavillon an eine andere Stelle zwischen den Säulen setzen.«
    Die Wandbespannung aus blassjadegrüner englischer Jaquardseide zeigte Seerosen in herrlicher Abwechslung von Stängelgewirr, Blatt- und Blütenfeldern, vor denen sich die Sammelschränke – übermannshoch und unterarmtief – höchst plastisch abhoben: bernsteinfarben gebeizter Nussbaum mit rötlich weißen Rosenholzeinlagen. Hunderte von Einschüben, voll mit Tausenden von kleinen Schächtelchen ... Ich war sprachlos vor Erstaunen.
    »Welcher Art Medaillon war es? Ohne Stein? ... Mit Stein! Eine Kamee? Eine Gemme? Welche Zeit, welches Motiv?«
    Die Sammlerin zog ein paar Schubladen auf. Mir schwirrte nur so der Kopf von den vielen Fragen. Die Exponate waren Legion und machten die Augen blind.
    »Sind das alles echte Steine?«, fragte ich ungläubig.
    »Sie dürfen keine Daktyliothek erwarten, meine Teuerste, ich meine Abgusssammlungen wie Cades, Liberotti oder Poniatowski sie schätzten! Hier gibt es nur echte, geschnittene Steine, entweder in Hochrelief, also Kameen, oder in negativem Schnitt – sprich: intaglio –, also Gemmen!«
    Ich konzentrierte mich auf das Bild in der Erinnerung und entschied mich für eine Kamee, in einem mit Edelsteinen besetzten ovalen Rahmen aus Silber. Sie führte uns ein paar Schränke weiter und zog eine Lade heraus. Ich las die Liste des Inventars: Aeneas’ Flucht aus Troia Nr. 1. – Maximilian II. von Habsburg Nr. 2. – Dame in höfischer Tracht Nr. 3–5. – Satyr Nr. 6. – Lucius Verus Nr. 7. – Alexander der Große Nr. 8. – Sokrates Nr. 9. – Priamos und Hektor Nr. 10. ...
    »Nein, das sind die falschen. Es zeigte den heiligen Hieronymus ...«
    »Hieronymus!«
    »Außerdem war das Motto Plus ultra! darauf zu lesen.«
    Als sie das hörte, schob sie die zuletzt herausgezogene Schublade wieder hinein, ging zwei Schränke weiter und bückte sich. Der Einschub, den sie jetzt zum Vorschein brachte und zum besseren Betrachten auf einen Tisch stellte, enthielt einige Kameeen in sehr ähnlichen schwarz-weiß-silbernen Fassungen.
    »Onyx-Milchquarz!«, sagte sie erläuternd.
    Meine Augen irrten über die Auswahl und suchten nach der Entsprechung für das Erinnerungsbild. Plötzlich stoppten sie und ich zeigte auf eine Kamee, die der gesehenen bis auf den abgebildeten Heiligen so ähnlich sah, als wären es Zwillinge. Plus ultra! stand aufgeteilt zu beiden Seiten.
    »Wenn hier Hieronymus statt Sebastian herausgearbeitet worden wäre, das wäre es gewesen!«
    Lulu, Edle von Lilienstein-Silves, nahm das bezeichnete Medaillon aus seinem kleinen Behältnis und hielt es rücklings vors Auge.
    »Stammt von einem berühmten Steinschneider in Barcelona. Ich wette, er hat nur Einzelstücke verfertigt. Das hier ist ein Medaillon zu einem bestimmten Tag – einem Geburtstag wahrscheinlich; und der abgebildete Heilige ist der jeweilige Tages- oder Geburtsheilige.«
    »Wissen Sie den Namen des Juweliers? Dann kann ich ihn brieflich fragen, für wen er den Hieronymus gefertigt hat.«
    Sie lächelte.
    »Er hieß Josep Vidal. Das andere wird ein bisschen schwieriger werden!«
    »Warum?«, fragte Evelyn.
    »Weil dieses Stück von 1664 stammt ...«
    Sie hielt es flach zwischen Daumen und Mittelfinger. Durch sanften Druck sprang die gewölbte Bildseite auf.
    »Was steht da?«, fragte Evelyn und drängte ihren frechen, schmalen Kopf hin zu besserer Sicht. »Juan Gomez, dat. Janeiro 20. a. D. MDCLXIV ... Ju-a-n?«
    »Es spricht sich so ähnlich wie Schwan!«, verbesserte ich. »So heißt bei den Spaniern unser Johann.«
    Evelyn kennt mich und nimmt mir dieses ewige Korrigieren zum Glück nicht übel. Eigentlich erstaunlich.
    »Darf ich fragen, wo Sie das erworben haben?«, fragte ich

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