Das spanische Medaillon
ich – geistig, aber auch von ihrer äußeren Erscheinung her. Sie tat immer so, als interessierte das andere Geschlecht sie nicht. Doch das kaufte ich ihr nicht ab! Nun sah mir das alles sehr nach einem männlichen Grund für ihre Angst aus. Ich konnte das störrische Eulchen einfach nicht von der Stelle kriegen. Fast hätte ich gefragt: Wie heißt er denn? Aber dann ließ ich es auf sich beruhen. Sie sollte ja nicht sagen können, ich sei neugierig. Und wenn sie es darauf abgesehen hatte – gerade diesen Gefallen würde ich ihr nicht tun.
So stand ich allein auf dem Dach des Berliner Schlosses neben Königin Luise an der fast brusthohen Balustrade, die Arme aufgestützt und ein Perspektiv im Anschlag. Hinter uns war ein seltsamer Kegel aus vier Stangen aufgebaut. Oben hatte er eine Blende mit einer großen Einkerbung, in welche mittels mehrerer Hebel weithin sichtbare geometrische Figuren eingeschoben werden konnten.
»Sie haben es mir schon einmal erklärt, aber ich habe es vergessen: Was soll das sein? Ein Blitzableiter?«
»Nein, Majestät, eine Weiterentwicklung des mobilen Telegrafen vom einstigen Direktor der chemischen Klasse der Akademie ...«
»Achard?«
Ich nickte.
»Worauf muss ich aufpassen? Da hinten bewegt sich etwas!« Ich sah, dass sie mit ihrem Fernrohr die Richtung nicht ganz getroffen hatte und den Wetterhahn des französischen Domes anvisierte. Die Musik, wenn man so sagen wollte, spielte aber auf dem Burgturm der Königlichen Sternwarte in der Letzten Straße. Dort, wo für gewöhnlich die Astronomen der Akademie (und neuerdings auch die Professoren und Studenten der Universität) ihre Fernrohre gen Himmel reckten, ragte jetzt das Pendant zu dem Apparillo hinter uns auf.
»Majestät beobachten einen falschen Agenten ... Wenn ich einmal korrigieren darf ...«
Da also verbesserte ich schon wieder! Es war scheints meine Natur. Doch auch die Königin nahm es mit Humor.
»Ein Tubus ist ein viel zu leicht irritables Instrument in meinen Händen! Wie machen Sie das, meine Liebe, dass Sie immer rasch treffen, was Sie sehen wollen?«
Ich versuchte, ihr ein paar Tricks zu zeigen: Erst mit bloßem Auge an der äußeren Röhre entlangschauen, um sie ungefähr auszurichten. Dann hindurchsehen und mit langsamen Bewegungen einen Anhaltspunkt finden.
Nun klappte es besser, und sie jauchzte, als sie die Apparatur des transportablen Klappentelegrafen in ihrer optischen Röhre auftauchen sah, den Jérôme und ich, angeregt durch Achards alte Pläne, zum Feldeinsatz gebaut hatten. Jetzt tauchten in meinem Perspektiv Jérôme und der König auf. Jérôme lachte und winkte, was wir erwiderten. Dann kam eine dritte Figur in den Blick: ein kleiner, verhungert wirkender Mann mit einem großen, runden Kopf, auf dem ein riesiger Zylinder saß.
»Was ist denn das für ein spaßiges, hässliches Kind?«, fragte die Königin. »Was tut es dort neben Friewi und Ihrem Jérôme?«
»Das ist der Herausgeber der neuen Abendblätter . Er hat auch Geschichten und Stücke geschrieben. Er heißt Heiner von Kleist. Ich glaube, er ist der Verfasser der Hauptnachricht für Sie!«
»Oh, verraten Sie meine Unwissenheit nicht ... wenn es denn klappt!«, wandte die Königin mit schauspielerisch geschürzten Lippen ein.
»Sicher, wenn es klappt. Das zu überprüfen sind wir hier«, bestätigte ich leicht indigniert.
Meine eigene Arbeit betreffend, fällt es mir schwer, einen Misserfolg zu antizipieren, und sei es auch nur zum Spaß ...
»Erklären Sie mir doch bitte, wie es geht, meine Teuerste!«, bat mich die Königin, die genau spürte, wenn mir etwas nicht behagte. »Ich fürchte, es ist zu schwierig für jemanden, der es nicht jeden Tag betreibt, wie ich.«
»Aber, aber, nichts leichter, als diese verstellbare Vogelscheuche zu observieren: Die fünf verschiedenen Zeichen, die auf der Maschine mittels der Hebel eingestellt werden können, sind: Strich, Kreis, Dreieck, Strichkreis und Strichdreieck. Durch Kombinationen dieser Zeichen kann man 2 375 verschiedene Wörter darstellen, die in diesen Tabellen hier aufgelistet sind. Wir müssen nur notieren, welche Zeichen wir nacheinander sehen, und können dann die Nachricht decodieren! Mit ein bisschen Übung sollten wir jede Meldung schon beim Notieren entschlüsseln!«
»Ha!«, sagte sie und hieb sich vor Freude mit dem Perspektiv leicht auf den Unterarm.
Die Diener hatten uns ein kleines Podest gebaut, darauf standen ein Tischchen, eine Feuerschale und zwei Stühle.
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