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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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vertrieb.
    »Was willst du denn in der Bibliothek?«, fragte sie frech – als ob ich den Büchern gänzlich abhold gewesen wäre ...
    Sicher, ich hasste die exaltierte Romantik, ich fand auch die Klassik unlesbar und vertrocknet. Ich mied die weltenthobene und versponnene Philosophie, sparte mir das Empfindeln in Gedichtbänden, Frauen- und Musenalmanachen, verabscheute das gedruckte Drama, das religiöse Geschwätz – aber gegen eine spannende mathematische, chemische, zoologische, botanische oder physikalische Abhandlung hatte ich absolut nichts einzuwenden!
    »Ich wollte mir Bildbände zu spanischem Schmuck anschauen.«
    »Mensch – das Medaillon! Komm, wir gehen zu Lulu!«
    Das Lilienstein’sche Palais in der Lindenstraße neben dem Collegienhaus sah aus wie eine riesige Schmuckschatulle. Es passte daher sehr gut zur Bewohnerin und ihrer Leidenschaft. Lulu von Lilienstein-Silves hatte nach dem Tod ihres Mannes im spanischen Abwehrkampf gegen Napoleon nicht wieder geheiratet. Maximilian Ferdinand Edler von Lilienstein-Silves, abtrünniges Mitglied einer kleinen Fürstenfamilie, hatte doch Nationalstolz genug geerbt, um für nichts und wieder nichts zu fallen. Seine Witwe erbte ein erkleckliches Vermögen, das sie künftig nicht gewillt war, mit einem anderen zu teilen als mit ihrem riesigen Sammlungsschrank. Sie empfing uns in einem luftigen sonnengelben Gewand, das mir mauretanisch vorkam und zu ihrem tiefschwarzen Haar äußerst gut kontrastierte, und trug teuersten Schmuck darin: Ein großer, fast wasserklarer Beryll glitzerte in silbernem Kranz vor ihrer hohen weißen Stirn an einer feinen Kette, die sich um ihre Haarschnecken und den Dutt herumwand und an einigen Stellen mit ebenfalls beryllbesetzten Haarspangen und Nadeln gehalten wurde. Die fast tropische Hitze im Haus zwang uns, die Mäntel rasch abzuwerfen. Im Kamin loderte ein höllisches Feuer. Die über unsere Störung keineswegs verärgerte Hausherrin ließ uns sofort eisgekühlte Limonade servieren, was die Pein ungemein erträglich machte. »Ich bin dieses Wetter hier langsam satt! Marquise, wie schön, dass ich endlich Ihre Bekanntschaft machen darf! Evelyn hat mir schon so viel von Ihnen erzählt. Ich hätte Sie sicher schon viel früher getroffen. Wenn ich nur durch die Salons tigern würde ... Doch das ist nun einmal nicht meine Welt. Ich fühle mich leider am wohlsten ... hier!«
    Ich lachte und schüttelte den ungeschmückten Kopf, den tizianrotes Haar zierte.
    »Die Salons verachte ich ebenfalls, Madame. Ich kann mich auch sehr gut selbst langweilen«, erwiderte ich.
    »Nach dem, was man so hört, verläuft Ihr Leben aber notorisch aufregend!«, sagte die und ihre strahlende, wache Art gefiel mir sofort.
    »Evelyn, was hast du wieder über mich erzählt?«, tadelte ich zum Schein die Cousine, die sich diebisch freute, dass sich hier gerade zwei verwandte Seelen fanden. »Sicher, ein paar ungewöhnliche Vorfälle in den letzten Monaten sind schon zu beklagen. Das Dumme ist, dass ich schlecht schlafe, wenn mir ungelöste Mordfälle durch den Kopf geistern.«
    »Du könntest Gerardine vielleicht zu etwas besserem Schlaf verhelfen«, sagte Evelyn. »Sie hat ein Medaillon gesehen, das ihr Rätsel aufgibt.«
    »Ein Medaillon?«
    Lulu von Lilienstein-Silves’ Augenbrauen wurden zu Viertelkreisen des gespannten Interesses. Aufgeregt bat sie uns, über die sanft ansteigenden Teppichkaskaden in die obere Etage hinaufzuklettern, wo sich ihre Collection befinde ...
    »Es ist nicht viel, gemessen an der Sammlung, die der Herzog von Bragança hinterlassen hat, als er nach Brasilien ging«, meinte sie die Sache herunterspielen zu müssen, wie jeder eingefleischte Sammler tut, um die Wirkung zu verstärken. Die Sammlung des portugiesischen Königs kannte ich zwar nicht, aber was sich nun vor mir auftat, als wir den großen oberen Saal betraten, der ursprünglich ein Ballsaal gewesen war, wie Lulu erläuterte, auf den polierten Steinfußboden aus blauen Basaltquadraten in einem Kreuzgeflecht aus weißem Marmor deutend, ließ den Gedanken an Vergleiche auf der Stelle verschwinden. Das Herunterspielen wäre nicht nötig gewesen. Schon die Platzierung im Gebäude war auf Wirkung berechnet. Ich bin die Letzte, die an Inszenierung Anstoß nimmt, wenn sie funktioniert. Diese hier tat’s!
    Der quadratische Raum hatte ein Kuppeldach, das von einer aufgesetzten Laterne mit blauen Gläsern auch tagsüber ein überirdisches Licht erhielt. Drei Kronleuchtertrauben

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