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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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Jetzt nahmen wir erst einmal dort Platz. Dick eingemummelt in Pelz und Wolle, mit großen Bechern Punsch in den behandschuhten Händen, suchten wir uns die Zeit bis zum Beginn zu vertreiben. Dann zeigten drei Schüsse den Beginn der Übertragung an. Die Königin war zu aufgeregt, um das erste Zeichen zu sehen. Es war eine Sequenz der Grundsymbole und zeigte an, dass zunächst Buchstabe für Buchstabe übermittelt werden würde.
    »Dreimal Stab!«
    »E«, sagte die Königin, die eifrig mit den Augen in der Tabelle herumstocherte.
    »Kreis, Stab, Kreis!«
    »S ... Also: ES.«
    Es folgte ein L und danach eine Pause, weil der König an die Hebel wollte, wie ich durchs Fernrohr sehen konnte. Die Königin vermutete:
    »ESL ... vielleicht die Kurzform von ESEL?«
    Als sie im Perspektiv ihren Mann sah, korrigierte sie sich sofort:
    »Oh, nein, Friewi: Dich habe ich nicht gemeint!«
    Er winkelte hölzern den Arm an, was so viel wie ein euphorisches Winken bedeutete. Dann kamen, anfangs schleppend, aber ohne Fehler, neue Zeichen.
    »ESLE ... ESLEB ...?«
    »ESLEB!«
    »Was soll das heißen, ESLEB?«
    »Majestät, es geht noch weiter!«
    Es ging tatsächlich noch weiter, bis zu der Zeile: ESLEBEDIEKÖNIGIN!
    »Ach, wie niedlich! Aber ein bisschen umständlich, finden Sie nicht? Ein Bote mit einem Zettelchen hätte es doch auch getan?«
    »Bei größeren Entfernungen und mehreren Stationen kann es sich rentieren. Man spart Personal.«
    Nun hatte sie Gefallen daran gefunden. Nachdem uns vom Männerturm als Nächstes angezeigt wurde, dass ab jetzt man die Zahlensymbole für ganze Wörter senden werde, dauerte es auch keine Viertelstunde in der Kälte mehr, bis die eigentliche Nachricht übertragen war und wir mit vor Kälte klappernden Zähnen und blau gefrorenen Armen ein bestätigendes Alles da! gesendet hatten.
    Wir hatten uns nicht die Mühe gemacht, alles Empfangene gleich zu dechiffrieren, sondern waren mit der Zahlenliste schnell wieder hinuntergestiegen. Über eine Leiter ging es in den Bedientengang hinter der oberen Galerie, dann durch eine Tapetentür ins Treppenhaus. Als wir das Schloss verlassen wollten, um ins königliche Palais zu wechseln – die Königin freute sich schon sehr auf einen heißen Kaffee –, da kamen uns Jérôme und der König und das kleine hässliche Kind entgegen, das nach einem Anstupsen durch Jérôme den zerbeulten Zylinder abnahm.
    »Von Kleist sein! Gute Lyrik, was? Gut gemacht, Kleist! Mögen selbst vortragen?«, sagte der König und ich beobachtete die Kältewolken seines Atems im eisigen Luftraum über der Gigantentreppe. Er gab dem Dichter einen Klaps mit dem Wildlederhandschuh, was diesen einen Schritt vortorkeln ließ. Aus der Nähe betrachtet, war er nicht mehr ganz so hässlich; allerdings durchaus ein Zwerg mit zu großem Kopf und Kindergesicht. Kleist nahm den Zettel aus der Königin Hand entgegen und deklamierte:
    134, 156, 111, 999, 766, 333 ...
    Kleist linste schalkisch erst nach links, dann nach rechts – ein Hofnarr hätte es nicht besser hingekriegt. Wir mussten schallend lachen – auch der König lachte.
    »Kleist! Spaßvogel sein – nun aber heraus mit dem Gedicht!« Die Königin griff ein und sagte:
    »Bitte lasst uns doch in den Salon drüben gehen – der Dichter ist schon ganz blau. Wir übrigens auch. Ein Gedicht braucht doch etwas Wärme, um aufzugehen. Sonst kommt nur diese ekle Zahlensaat!«
    Ich sah, wie sich Kleists Augen veränderten. Er strahlte und himmelte sie an. Sie war aber auch zauberhaft! Der König nahm sie am Arm, zwinkerte uns allen schelmisch zu, dann führte er uns die Treppe hinauf. Plötzlich belebten sich die Gänge: Aus allen Ecken quoll das Festpublikum und applaudierte. Luise kamen Tränen der Rührung: Was für eine Überraschung hatte ihr Mann da organisiert!
    In der Bildergalerie nahm man an kleinen Tischen das Souper, dann war Gratulationscour und anschließend ging es zum Ball in den prachtvoll geschmückten Weißen Saal. Nach einigen schnellen Tänzen landete sie erschöpft neben mir und Jérôme und Kleist, der sich zu einem aparten Unterhalter gemausert hatte.
    »Jetzt will ich endlich Ihr Gedicht hören!«, entschied die Königin.
    Der Dichter musste sich in der Mitte des Weißen Saales auf einen Tisch stellen und genoss das Interesse an seiner Person sichtlich.
    Oh Herrscherin, die Zeit muss ich preisen!
    Wir sehen Deine Anmut endlos gleißen,
    Dein Haupt ist wie von Strahlen begrenzt;
    Luise ist ein Stern, der voller Pracht uns

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