Das spanische Medaillon
Eltern, in Sorge um das geistige Wohlergehen ihres vom Schicksal so gebeutelten Sprosses, wollten mich erst nicht zu ihr lassen. Ich fand sie schließlich auf dem voluminösen Ruhekissen einer Bettstatt, die so hoch gebaut war, dass sie selbst bei anbrandender und alles davontragender Sintflut nicht Schaden genommen hätte, sondern sanft auf den Wellen entschwebt wäre.
»Was quälen Sie mich mit Ihrem Erscheinen? Können Sie mich nicht ruhen lassen?«
Sie fürchtete, ich könnte ihr Dinge über den Tod des Geliebten erzählen, die sie nicht ertragen würde. Nichts lag mir freilich zunächst ferner.
»Meine Werteste – Sie peinigen? Gott bewahre! Anhand dieses Schreibens (ich wies ihr das königliche Permiss vor) können Sie sehen, dass Seine Majestät höchstselbst lebhaften Anteil an Ihrem Schicksal nimmt und mich beauftragt hat, die dunklen Umstände des Todes Ihres Freundes aufzuhellen!«
Sie schaute mit ungläubigen, dick aufgeheulten Augen auf das Papier, dann sank sie erschöpft in die vor Strohfülle knisternden Kissen zurück und starrte aus der trist möblierten Kate in den verschneiten Hinterhof.
»Er hat nicht gelitten, oder?«, fragte sie bänglich.
Eine Frage, die mir als die dümmlichste gilt, die Hinterbliebene zu stellen vermögen, und die mir auf einmal alles über den Stand ihrer geistigen Entwicklung verriet. So fragt man vielleicht, wenn ein Tier geschlachtet worden ist und man sich der Liebe zur Kreatur rühmen will! Muss indes beim Menschen, der an sich ein kriegerisches, sich und andere zerfleischendes Tier ist, der Tod immer auf leisen Sohlen kommen? Ist der Tod in der Schlacht, wo einer tagelang im Graben vegetieren kann, bevor es zu Ende geht, nicht dem Menschen angemessener? Man hat noch etwas Zeit zum Nachdenken und erträgt den Schmerz des abgeschlagenen Armes und des durchbohrten Magens vielleicht viel besser, als man es sich vorstellt. Ich wurde ein wenig vom Teufel geritten, als ich dieses bornierte Ding da vor mir liegen sah, und verlor jedes Gefühl für Pietät:
»Nun, ich denke, er hat noch ordentlich gelitten! Am Kopf und an den Gliedern betäubt durch ein Gift, das auch eine schreckliche Übelkeit hervorbringt – ich habe es am eigenen Leib erlitten –, musste er doch noch eine hübsche Strecke neben seinem eigenen Mörder herlaufen!«
Ich hoffte sehr, dass Jérôme nach meinem eigenen, vielleicht nicht ganz natürlichen Ableben nicht eine so törichte Frage vom Stapel lassen würde ...
»Wie können Sie so etwas Schreckliches sagen?«, säuselte sie tränenreich.
»Es ist nur die harte Wahrheit, mein Kindchen!«, gab ich recht gemein zurück. »Sind das hier Sachen von ihm?« Neben ihrer Heulstatt stand ein aufgeklappter brauner Lederkoffer auf dem abgeschabten, vormals rotbraun lackierten Dielenboden. Ich wartete kaum auf ihr entrüstetes Nicken, nachdem ich gefragt hatte: »Darf ich?«, kniete und fuhr mit flinker Hand hinein. Ich wühlte in den Innereien eines Toten, während die Braut verzweifelt versuchte, sich auf ihrer Strohempore so zu drehen, dass sie sehen könnte, was ich tat. Es waren ein paar Bücher unter den an sich belanglosen Habseligkeiten. Geist der Zeit, ein drucklich und hirnlich schmales Werk von Ernst Moritz Arndt (Für Dich, mein lieber Körne – von Arndt und nicht von Börne!), ein paar Trockenverse von Max von Schenkendorf (Für Körne – ein paar Körner. Ewig Dein Schenk) und ein französisches Werklein, das so gar nicht in den Nachlass dieses Franzosenfressers passte. Es waren die Lettres Neuchâteloises der Verfasserin der Mistriss Henley, die ich selbst sehr schätzte. Ich las die Widmung: Dem löblichen Mitglied unserer Jury am 23. Dec. 1805. Ihre Belle van Zuylen. Zuletzt noch die Reden an die deutsche Nation, vom Verfasser selbst gewidmet: Theodor Körne – dem Kämpfer im deutschen Frührot! Fichte.
»Legen Sie das bitte wieder hin!«, schluchzte die Strohlägige.
»Es sind die einzigen Dinge, die mich an ihn erinnern werden!«
Ich tat, wie mir geheißen, schrieb mir jedoch vorher die Widmungen ab und verabschiedete mich. Aus dieser Person war nichts Hilfreiches herauszukriegen.
Bis zur Geburtstagsüberraschung für die Königin war immer noch Zeit. So beschloss ich, II/2b eingedenk, mich in die Königliche Bibliothek, genannt: die Kommode, zu begeben, die seit Neuestem auch für die Studenten der Universität geöffnet war. Im Foyer stieß ich mit Evelyn zusammen, die sich hier anscheinend ihre Mittagspause mit Lektüre
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