Das spanische Medaillon
erinnern. Eine Familienchronik, handschriftlich, in einem Archiv in Genf. Henker durch viele Generationen, allesamt aus ... und da verließ ihn schon die Kenntnis. In seinem Journalistenkopf arbeitete es:
»Hat unser Beil am Ende gar etwas mit dieser Familie zu tun?«, fragte er.
»Ich weiß es nicht. Bitte, wenn Ihnen Ihre Lizenz für die Abendblätter etwas wert ist (ich zeigte ihm meinen königlichen Freibrief), hängen Sie diese Mutmaßung nicht an die große Glocke!«
»Vielleicht an die kleine ...?«, bohrte er.
»An gar keine!«, präzisierte ich.
Ich stand also vor mindestens drei ungelösten Fragen: 1) Waren das Medaillon des Mörders und das Medaillon des Fährmanns tatsächlich vom selben Goldschmied? 2) Hatten die beiden Medaillons wirklich zwei Geschwistern – Bruder und Schwester – der Familie Gomez gehört? 3) In welcher verwandtschaftlichen Beziehung stand der Fährmann Gomms zu dem auf seinem vermutlichen Familienerbstück abgebildeten Juan Gomez? Die dritte Frage sollte sich einfach klären lassen, und möglicherweise (ich hoffte es so sehr!) würden sich die beiden anderen in der Folge leichter beantworten lassen.
Unsere Heimfahrt nach Kanzow verlief glatt – bei Ketzin rutschte der Wagen fast von der dortigen Fähre, die nur noch in einer schmalen Havel-Rinne operierte. Ich wollte keine Zeit verlieren, daher bogen wir in Deetz von der Chaussee ab und standen bald vor der Kate des Fährmanns Gomms.
Bei dem Gedanken, einem Blutsverwandten des Mörders nahe zu sein, fröstelte mich mehr als beim Blick auf die beinahe zur Gänze zugefrorene Havel. Beidseits des kleinen verbliebenen Restes freien Stroms hatten sich Schnee und Eis zu einem trügerischen Landstreifen verbunden. In Ketzin war vor Tagen in der Nacht ein Mann ertrunken, der in einer Verwehung vom Weg abgekommen und bis zum eisigen Strom vorgeirrt war.
»Meine Herrschaften, ich bedaure! Es ist zu gefährlich, überzusetzen, Monsieur – Madame! Die Stelle, von der man noch ablegen könnte: Ich kann sie nicht mehr befestigen. Man läuft jetzt auf dünnem Eis ... Sie müssen bei Ketzin übersetzen, dort geht es noch!«
Gomms wirkte übernächtigt.
»Mein Herr, Sie täuschen sich. Wir wollen gar nicht über den Fluss. Ich komme in einer anderen Angelegenheit. Ich war schon einmal hier, zusammen mit der Polizei, erinnern Sie sich?«
Jetzt erst fasste er uns richtig ins Auge und erkannte uns.
»Marquis! Marquise! Ach, verzeihen Sie mir meine Fahrlässigkeit – es ist der verdammte Winter! Er lässt mich noch verhungern!«
Seine Frau erschien hinter ihm.
»Hauptsache, er lässt dich nicht verdursten! Willst du, dass wir hier erfrieren? Warum bittest du die Herrschaften nicht herein, wie es sich gehört?«
Er knurrte und tat es. Wir betraten die Behausung der beiden und fanden sie mollig warm. Auch bekamen wir von der sehr häuslichen Frau sogleich etwas warme Fischsuppe offeriert, die wir dankbar annahmen. Dennoch wollte meine innere Eiseskälte nicht weichen.
Als seine Gattin nach draußen entschwand, um Holz zu holen, sagte ich, eingedenk der Tatsache, dass er das einst ihm gehörende Medaillon seiner Darstellung zufolge im Fluss verloren hatte:
»Ich möchte mit Ihnen über das Medaillon reden, das Sie gesehen haben, und über das, welches Sie vor einigen Jahren einer Dame aus Berlin verkauft haben.«
Er wurde leichenblass. Seine Ehefrau kam mit einigen riesigen Holzscheiten vor der gewölbten Brust herein, von denen einer polternd zu Boden fiel. Jérôme eilte ihr ohne Ansehen des Standes zu Hilfe, wohl wissend, dass er meinem Informanten und mir dadurch Gelegenheit gab, einige abgehackte Worte entre nous zu wechseln.
»Nicht vor IHR!«
»Dann kommen Sie noch heute Abend nach Kanzow! Es ist dringlich.«
Seine Frau war inzwischen mit dem Nachfeuern beschäftigt. Jérôme sprach, gut hörbar für sie:
»Es wäre schön, wenn wir den Kahn wieder flott bekämen. Jetzt ist die beste Zeit! Wenn König und Königin im Sommer in Paretz sind, möchten wir auf dem Wasserweg hinüber. Falls Sie zurzeit keine anderen Verpflichtungen haben, würde es uns außerordentlich freuen, wenn Sie sich das alte Schiffchen einmal ansähen. Kommen Sie doch nachher hinüber. Oder – wir nehmen Sie gleich mit! Falls es Ihre Gattin verstattet?«
Wer hätte Jérôme widerstehen können? Ein wenig wurmten mich die schmachtenden Blicke, die sie ihm zuwarf, doch sein Zwinkern besänftigte mich. Alles im Dienste unserer Sache ...
Sie nickte.
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