Das spanische Medaillon
glänzt!
Der Applaus erstarb nach einigen Klapsern. Gelächter hinter vorgehaltener Hand. Was war denn das? Diese Ansammlung von Worten war doch kein Gedicht?
»Ungelenkes Geklitter!«, sagte die Königin zu mir. »Er wird es noch ausarbeiten müssen. Da muss ein bisschen Tiefgang rein. Und so schamlos auf du und du ... Was sollen denn die Leute von mir denken?«
Sie sah mich mit zitronigem Gesicht an, wollte aber schon mit gewohnter Noblesse ihren Dank aussprechen, als Kleist das Papier mitten hindurchriss, lächelte und verkündete:
»Majestät, meine lieben Zuhörerinnen und Zuhörer, das freilich war nur die Version für den kalten Telegrafen, der leider nur ganz bestimmte schlagkräftige, militärische Wörter zu übermitteln fähig ist. Ich freue mich als Dichter aber über einen etwas begrünteren Wortschatz zu verfügen. Hören Sie nun also das Gedicht für den empfindenden Menschen:
An Luisen
Gedenk ich, wie in jenen Schreckenstagen,
Warm deine starke Brust umschloss, was je sie litt,
Wie du das Unglück, mit der Grazie Tritt,
Auf weißen Schultern stattlich hast getragen,
Wie vor des Krieges wild zerbrochnem Schlachtenwagen
Dein Bild vor Augen still die Schar zu Grabe ritt,
Wie, trotz der Schmerzen, die dein wundes Herze litt,
Du stets uns Licht gewesen bist in Dunkeltagen:
Oh Herrscherin, die Trommel möcht ich rühren!
Wir sah’n mit Anmut endlos dich uns führen!
Wie groß du wahrlich bist, das ahndeten wir nicht!
Dein Haupt, Luis’: von goldnen Strahlen hell umpfeilt!
Du bist der Stern, der lockend bei uns weilt,
Der weiß durch finstre Wetterwolken bricht!
Einen Moment lang herrschte Stille. Man hörte nur das leise Schmatzen der Kerzenflammen in der Höhe. Sodann aber brach sich der Beifall Bahn und verweilte lange und tosend und voll klingend im weiten Raum. Ich bin keine große Freundin von süßer Lyrik – aber ich gönnte Kleist den Erfolg. Ebenso freute ich mich für die Königin, deren Geschmack die Verse vollends trafen. Sie hatte schon wieder Tränen der Rührung in den Augen! Wiewohl der König eine eher süßsaure Miene aufsetzte und später noch verschiedentlich versucht hat, den Sturmlauf der Kleist’schen Dramen – etwa des Honz vom Primburg – zu bremsen: Der Keim zu Kleists glänzender weiterer Laufbahn ist in dieser Stunde gelegt worden. Iffland entschied sich an diesem Abend, das Ännchen von Bonn aufzuführen, wie er uns später sagte. Zum Sänger der Freiheitskriege, zum Dichter des Faust III , zum Starlibrettisten der Oper (man denke nur an seinen Text zum Sommerstraum von Heine!) wäre Kleist ohne diese Darbietung wohl nie geworden. Am Ende hätte er sich gar aus Geldnot umgebracht! Ich freue mich für ihn. Auch seine Liebesromane habe ich später mit Genuss gelesen, ich gebe es ja zu.
Das Fest fand ein rauschendes Ende. Es war der Königin schönstes Geburtstagsfest. Dass es ihr letztes wäre, wussten und ahnten wir nicht. Weit nach Mitternacht gingen Jérôme und ich durch die verschneiten Straßen heimwärts – Kleist begleitete uns noch ein Stück, denn er war zu aufgewühlt, um sich schon schlafen zu legen. Er spürte, dass etwas mit ihm vorging, und er schien aufgeblüht wie ein Apfelbaum, der plötzlich von der Sonne umflutet wird, wo er Jahre im Schatten gestanden. Wir tranken in Evelyns Küche noch eine Nachtschokolade und kamen auch auf die dunklen Dinge der jüngsten Vergangenheit, die den angehenden Herausgeber einer Zeitung natürlich brennend interessierten. Seinen Kinderkopf erschöpft nach hinten lehnend, sagte Kleist:
»Mit Polizeimeldungen hat sich das Blatt etabliert. Das ist es, was das Publikum lesen will. Gibt es nichts Neues in der Kopfkürzer-Geschichte?«
Als ich ihm und Jérôme von den neuesten Vermutungen, das Medaillon betreffend, erzählte, verschwanden seine Nachmitternachtsaugen und er war wieder hellwach:
»Ich habe auf meiner Reise in der Schweiz eine Familienchronik studiert; es war in Genf. Ich fasste den Plan zu einer Geschichte, doch ich habe sie zugunsten der Familie Schroffenstein aufgegeben. Zu düster. Ich musste mich auch von den Einzelheiten lösen und habe leider so gut wie alles vergessen.«
»Wie hieß die Geschichte?«, fragte ich.
»Die Familie Gomez!«
»Und was war das Besondere an dieser Familie?«
»Es waren Henker, seit zig Generationen!«
18
Der Schrecken saß uns in den Knochen: ein Henker? Ich hatte Kleist vergeblich beschworen, sich genauer an den Titel und den Inhalt seiner Quelle zu
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