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Das Spektrum der Toten

Das Spektrum der Toten

Titel: Das Spektrum der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pfeiffer
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und keine Besiegten. So sollte man sich im Umgang mit abergläubischen Menschen an die Bemerkung des Preußenkönigs Friedrich II. halten: dass jeder nach seiner Fasson selig werden soll.

    III. Kapitel Bizarre Todesfälle

Kopf in der Schlinge

    Als der Klosterlehrer seinen 14jährigen Schülern einmal die Aufgabe stellte niederzuschreiben, was ihre liebste Freizeitbeschäftigung sei, notierte Caselo Hunyaby: Erfindungen machen, lesen, zeichnen. Und das war nicht nur so dahingesagt. Caselo betrieb diese Tätigkeiten mit leidenschaftlicher Hingabe, und wenn er abends ins Bett ging, empfand er Kummer und Zorn, weil er seine Pläne für diesen Tag längst nicht alle verwirklicht hatte.
    Auch heute wird das wieder so, dachte er an diesem Nachmittag. Er hatte seine Schularbeiten erledigt, nun gehörten die nächsten Stunden ihm. Der Pflicht folgte die Freude.
    Um diese Stunden war er allein in der Budapester Dreizimmerwohnung. Der Vater, Postangestellter, war auf Arbeit. Die 30jährige Schwester, eine Lehrerin, hatte noch in der Schule zu tun, und sein älterer Bruder Josef war bei Freunden. Nur die Mutter war zu Hause und schlief jetzt, denn sie hatte Nachtschicht.
    Caselo ging ins Bad. Das war so geräumig, dass ihm die Eltern gestattet hatten, dort eine elektrische Eisenbahnanlage aufzustellen. Zwei Züge ließ Caselo über die verschlungenen, sich kreuzenden Schienen laufen. Manchmal kam es dabei zum Zusammenstoß. Caselo liebte es, wenn die Lokomotiven aufeinanderprallten und aus den Schienen sprangen. Aber er suchte auch nach einer Möglichkeit, den Crash zu verhindern, um ganz Herr über die beiden Züge zu sein. Seit Wochen beschäftigte er sich damit, eine automatische Regelung zu ersinnen, die ein absichtlich herbeigeführtes Eisenbahnunglück nicht zuließ. Bis jetzt hatte seine Erfindung noch nicht funktioniert. Aber Fehlschläge enttäuschten Caselo nicht. Er wusste, er würde einst ein bedeutender Erfinder werden, ein Elektroingenieur vielleicht. Diese Gewissheit beruhigte ihn, als es ihm auch jetzt nicht gelang, einen sichtbaren Fortschritt zu erzielen.
    Er stellte die Eisenbahnanlage aus und verließ das Badezimmer. Er setzte sich in einen Sessel neben dem Couchtisch. Hier lag das Buch bereit, in dem er seit Tagen las: Schillers ausgewählte Werke.
    Caselo hatte sich bereits ausführlich mit der Geschichte vergangener Jahrhunderte beschäftigt, war dabei auf das Schicksal der Maria Stuart gestoßen und hatte erfahren, dass Schiller ein Drama über die unglückliche schottische Königin geschrieben hatte. Im Machtkampf mit ihrer Widersacherin, der englischen Königin Elisabeth, unterlag sie. Aber es waren nicht die Personen, nicht ihre Handlungen, nicht die politischen Intrigen, die Caselo bei der Lektüre am meisten interessierten. Ihn fesselte der Höhepunkt des Dramas, die Hinrichtung Maria Stuarts. Caselo wusste nicht, dass Schillers ästhetischer Geschmack ihm verbot, auf offener Bühne die Enthauptung Marias zu zeigen. Er empfand Bedauern, dass Schiller die Hinrichtung der Königin durch ihren Geliebten Leicester nur beschreiben ließ. Aber Caselo besaß genügend Phantasie, so dass Leicesters Worte für ihn zu lebendiger Wirklichkeit wurden: »Horch! - Ganz laut betet sie - Mit fester Stimme - Es wird still! - Sie wird entkleidet - Der Schemel wird gerückt - Sie kniet aufs Kissen - Legt das Haupt...«
    Caselo hatte sich schon mit so mancher Hinrichtungsszene bekanntgemacht. Er wusste, dass sie mit dem Schwert oder dem Beil vollzogen wurde. Er wusste, wie das Opfer auf seinen letzten Gang vorbereitet wurde. Er wusste auch über die Scharfrichter, ihre Künste und Ehrbegriffe Bescheid. Der gewaltsame Tod, die Angst, das Blut waren für ihn zur zweiten Wirklichkeit geworden, in die er kraft seiner Phantasie jederzeit hineingleiten und die sonderbarsten Gefühle dabei erleben konnte. Höchst angenehme Empfindungen: Wenn er sich vorstellte, dass er zum Schafott geführt und hingerichtet werden sollte und dass er diesen schrecklichen Traum dann überlebte und ungefährdet in der elterlichen Wohnung wieder auftauchte.
    »Sie legt das Haupt« - hier brach Leicesters Bericht ab. Hier ergänzte Caselo, was der Dichter verschwieg: Den Schwerthieb, den Blutstrahl, das fallende Haupt. Caselos Vorstellung war so stark, dass er das Buch beiseite legte und seine Zeichenmappe holte.
    Es war das Heimlichste, auch das Unheimlichste, was er nun auf den Tisch legte: die lustvollen Schreckensbilder seines

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