Das Spektrum der Toten
als Krankenschwester in einem Lazarett, arbeitete teils im Stationsdienst, teils im Operationsraum. Zu dieser Zeit war ihr Wahnsinn bereits so weit fortgeschritten, dass er auch zu körperlichen Krankheitserscheinungen führte. Bei Berührung mit Weihwasser bildeten sich Blasen auf ihrer Haut. Die »Besessene« wand sich in Schreikrämpfen, bald konnte sie ihren psychopathischen Zustand nicht mehr verbergen. Er begann sich auf ihre Arbeit auszuwirken. Während des Dienstes als OPSchwester schrie sie vor Schmerzen auf und behauptete, der Teufel winde sich als Schlange um ihren Körper, sie müsse ersticken.
Sie wurde untersucht: An ihrem Körper fanden sich spiralförmige Rötungen, die an einen Abdruck durch eine Schlange denken ließen. Ein andermal bemerkte man zahlreiche Schnittverletzungen an ihr. Sie sagte, der Teufel habe ihr befohlen, sich so zu verletzen. Sie klagte über Koliken und Rückenschmerzen, die ihr die Arbeit unmöglich machten. Sie erhielt starke Schmerzmittel, u. a. Dilaudid, ein Opiat; das schien sie zu beruhigen. Als der behandelnde Arzt das Medikament absetzte, ertrotzte sie es sich durch hysterische Schreikrämpfe. Bald war sie völlig vom Morphium abhängig. Ihre Forderung nach immer höheren Dosen begründete sie damit, dass ihr der Teufel täglich befehle, sich Verletzungen zuzufügen. Das Morphium lindere ihre Schmerzen. Es versetze sie in einen glückseligen Zustand. Schließlich musste sie wegen Rauschgiftsucht klinisch behandelt werden. Die Ärzte standen ihrer Erkrankung hilflos gegenüber. Ein Psychiater bezeichnete ihren Zustand als naturwissenschaftlich und medizinisch nicht erklärbar.
Hildegard wurde nach der Entziehungskur wieder entlassen. Nach zwei Jahren musste sie erneut zur Entziehung. Auch hier bekräftigte sie immer wieder, sie sei vom Teufel besessen und dadurch krank. Eine Geisteserkrankung im engeren Sinne konnte nicht festgestellt werden. Sie sei jedoch eine hochgradig psychopathische Persönlichkeit mit zahlreichen hysterischen Mechanismen. Vor Ärzten und anderen Patienten gab sie typische hysterische Schauvorstellungen. Sie gebärdete sich rasend, weil angeblich sieben verschiedene Teufel sie quälten. War sie allein, kam es niemals zu solchen Demonstrationen.
Die nächsten Jahre vergingen im Wechsel zwischen Klinikaufenthalt und Rückzug in die Obhut der Familie. Immer wieder klagte sie über kolikartige Schmerzen in der Nierengegend. Immer wieder verschrieben ihr die Ärzte trotz Betäubungsmittelsperre Morphium.
Der körperliche Verfall der Süchtigen war nicht mehr aufzuhalten. Sie magerte ab, lebte stumpf und apathisch vor sich hin.
Wegen Schlafstörungen erhielt sie ein starkes Schlafmittel. Sie trank fast die ganze Flasche aus und wurde bewusstlos. In der Klinik stellte man Lungenentzündung mit hohem Fieber fest.
Nach drei Tagen starb Hildegard Höhnel an Kreislaufversagen.
Es wurde eine Obduktion angeordnet.
Bei der äußeren Besichtigung der Leiche fanden sich zahlreiche frische Injektionsstellen neben vielen vernarbten.
Es wurden Leber- und Nierenschäden festgestellt. In der Leber, den Nieren und im Urin konnten Reste von Veronal, einem starken Schlafmittel, nachgewiesen werden.
Besondere Aufmerksamkeit widmeten die Obduzenten der Untersuchung des Gehirns, um festzustellen, ob die psychopathologischen Störungen Ausdruck einer Hirnerkrankung gewesen sein könnten.
Man stieß auf zwei Veränderungen, die unterschiedlich waren und auch verschiedene Ursachen hatten. Das waren zum einen Veränderungen, die durch die Schlafmittelvergiftung und das Kreislaufversagen entstanden waren. Diese akuten Veränderungen sagten nichts über das chronische psychische Krankheitsbild aus.
Interessanter dagegen war eine zweite Gruppe von Veränderungen, nämlich anatomische. Die Struktur der Großhirnrinde war geschädigt, Nervenzellen waren deformiert. Die Frage, ob diese Schäden von der Morphiumsucht verursacht worden waren, konnte allerdings nicht mit Sicherheit beantwortet werden, da es über einen solchen Zusammenhang keine einheitliche wissenschaftliche Meinung gab. Möglicherweise führte erst das Zusammenwirken von Morphium und Schlafmittel zur Degeneration der Hirnzellen.
Soweit der Bericht von F. Petersohn vom Institut für gerichtliche Medizin und Kriminalistik der Universität Mainz aus dem Jahr 1964 über den Fall Hildegard Höhnel.
Nachdem Petersohn die mögliche Beziehung zwischen der psychischen Erkrankung und den anatomischen
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