Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Spektrum der Toten

Das Spektrum der Toten

Titel: Das Spektrum der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pfeiffer
Vom Netzwerk:
Jahre gab es keine Folter mehr. Sie gestand freiwillig, den Teufel in sich zu haben. Wann ihr Wahn entstand und wie er sich immer mehr verfestigte, lässt sich aus ihrer Lebensgeschichte ziemlich genau nachvollziehen.
    Hildegard wurde einige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg geboren. Sie hatte noch fünf Geschwister. Ihr Vater war Werkmeister, ein geistig reger Mann. In seiner Freizeit betätigte er sich als Statist an einem kleinen Theater und trat zuweilen in einer Nebenrolle auf. Vielleicht war diese Nebenbeschäftigung aber auch eine Flucht, weg von zu Hause.
    Seine Frau war neurotisch und streng religiös. Sie verschloss sich gegenüber ihren Mitmenschen. Doch diese zwiespältige Häuslichkeit schien Hildegard nicht sonderlich zu beeinflussen. Das lebhafte und intelligente junge Mädchen wurde stark vom weltoffenen, künstlerisch aufgeschlossenen Vater geprägt. Durch ihn lernte sie die Welt des Theaters kennen, und bald war es ihr sehnlichster Wunsch, Schauspielerin zu werden. Dem aber widersprachen die Eltern - die Mutter, weil sie Vorbehalte gegen diesen Beruf hatte, der Vater, weil er meinte, Hildegard sollte zuerst einmal einer »ernsthaften« Arbeit nachgehen.
    So nahm Hildegard nach ihrem Schulabschluss eine Tätigkeit als Haushaltshilfe an. Statt als Luise Miller auf der Bühne zu stehen, musste sie Kartoffeln schälen und Staub wischen. Das war für Hildegard eine schwer zu bewältigende Enttäuschung. Sie hielt es in keinem Haushalt lange aus und musste sich in den nächsten Jahren mehrmals einen neuen Arbeitgeber suchen.
    Inzwischen war Hildegard 21 Jahre alt geworden. Ihr Jugendtraum hatte sich nicht erfüllt. Ihr Alltag war trist. Sie konnte sich nicht damit abfinden.
    Während eines Urlaubs lernte sie einen jungen Priester kennen. Zwischen beiden entflammte eine leidenschaftliche Liebe.
    Bald stellte Hildegard fest, dass sie schwanger war. Ein uneheliches Kind mit einem Priester! Schande für den Geliebten, Schande für sie.
    Sie entschloss sich zu heimlicher Abtreibung bei einer Kurpfuscherin. Der Eingriff gelang zwar, hatte aber eine Bauchfellvereiterung zur Folge. Beide Eierstöcke und die Gebärmutter mussten entfernt werden. Diese Ereignisse riefen bei Hildegard eine Lebenskrise hervor. Die religiöse Prägung durch die Mutter war so tief in ihr verwurzelt, dass sie die Liebesbeziehung zu dem Priester als eine schwere Schuld empfand. Sie hatte verschiedene Gebote, die bisher für sie gültig gewesen waren, verletzt. Etwas in ihr war mächtiger als ihr freier Wille. Nach ihrem religiösen Weltbild konnten ihre verwerflichen Handlungen nur das Werk des Teufels sein. Der Teufel hatte sich in ihr eingenistet, der Teufel besaß sie, sie war vom Teufel besessen.
    Welche Macht musste der Teufel haben, wenn er alle Gebote der Religion und Moral in ihr hatte zerstören können. Wie ohnmächtig musste Gott, wie schwach die Kirche sein, die das nicht verhindern konnten! Und so beschloss sie, die Macht des Bösen anzuerkennen und sich ihr unterzuordnen.
    Sie verfasste einen Kontrakt mit dem Teufel, in dem es hieß: »Ich verschreibe mich den dämonischen Mächten heute mit Leib und Seele, gebe mich mit allen guten und schlechten Gedanken den Kräften hin, die denselben Hass haben müssen, wie ich ihn habe. Dass sie uns helfen gegen Weihwasser und Weihrauch und die ganze Kirche…«
    Hildegard bewarb sich in einem Kloster als Krankenpflegerin. Hier fand sie die Stätte, die ihr Gelegenheit gab, ihren Hass gegen die Kirche auszuleben. Sie beschmutzte den Hostienschrein, tauschte geweihte gegen ungeweihte Hostien aus, erging sich in zynischen Bemerkungen über Kirche und Religion. Der Glaube, vom Teufel besessen zu sein, ergriff völlig von ihr Besitz, steigerte sich zu Wahnvorstellungen, die sich immer mehr verfestigten und durch nichts mehr erschüttert werden konnten: durch kein logisches Denken, durch keine Gegenbeweise anderer Menschen.
    Dabei kann der vom Wahn Befallene außerhalb seines Wahnzustandes völlig normal denken und handeln. Er kann auch seinen Beruf ausüben, solange dieser nicht von seinem Wahn berührt wird.
    Das war auch bei Hildegard der Fall. Nachdem sie im Kloster durch ihr antireligiöses Verhalten aufgefallen und aus dem Dienst entlassen worden war, verblieb sie in der Krankenpflege, legte nach einem Lehrgang das Examen ab und nahm Arbeit im privaten Pflegedienst auf.
    Ihre Ehe mit einem älteren Mann wurde bald wieder geschieden. Der Zweite Weltkrieg brach aus. Hildegard meldete sich

Weitere Kostenlose Bücher