Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
aus – ein winziger Krummsäbel, den ein kriegerischer Gnom trug, der auf dem Weg zu einer Schlacht unter einem Fliegenpilz war.
    Deine Gedanken schweifen ab, Teuerste, sagte Punkin. Kannst du dir das leisten?
    Die Antwort lautete selbstverständlich Nein.
    Jessie legte das Viertel des Trinkglases wieder auf das Regal, wobei sie es sorgfältig so hinlegte, dass sie es ohne größere Verrenkungen wieder erreichen konnte. Es lag auf dem glatten, gerundeten Bauch, die krummsäbelförmige Spitze stand ab. Ein winziger Funke reflektierten Sonnenlichts gleißte heiß auf der Spitze. Sie überlegte sich, dass es bestens für die Aufgabe geschaffen sein würde, wenn sie nicht zu fest drückte. Wenn sie das tat, würde sie das Glas entweder vom Regal fegen oder die zufällig entstandene Säbelklinge abbrechen.
    »Sei nur vorsichtig«, sagte sie. »Du musst nicht fest drücken, wenn du vorsichtig bist, Jessie. Tu einfach so, als …«
    Aber der Rest dieses Gedankens
    (würdest du Roastbeef schneiden)
    schien nicht gerade produktiv zu sein, daher blockte sie ihn ab, bevor mehr als die Spitze durchdringen konnte. Sie hob den rechten Arm, streckte ihn, bis die Kette der Handschelle fast straff war und ihr Handgelenk über der funkelnden Scherbe verweilte. Sie wollte von ganzem Herzen die restlichen Glasscherben wegwischen – sie konnte spüren, wie sie wie ein Minenfeld auf dem Regal auf sie warteten -, wagte es aber nicht. Nicht nach ihrem Erlebnis mit dem Döschen Nivea-Creme. Wenn sie das säbelförmige Stück Glas versehentlich vom Regal stieß oder zerbrach, musste sie die restlichen Trümmer nach einem geeigneten Ersatz durchsuchen. Derlei Vorsichtsmaßnahmen schienen fast surrealistisch zu sein, aber sie versuchte sich nicht einen Sekundenbruchteil einzureden, dass sie überflüssig waren. Wenn sie hier herauswollte, würde sie viel mehr bluten müssen als jetzt.
    Mach es genau so, wie du es gesehen hast, Jessie, das ist alles … und dass du kein Muffensausen bekommst.
    »Kein Muffensausen«, stimmte Jessie mit ihrer schroffen Staub-in-den-Fugen-Stimme zu. Sie spreizte die Hand und schüttelte das Handgelenk in der Hoffnung, die Splitter loszuwerden, die aus ihren Fingern ragten. Es gelang ihr weitgehend; nur der Splitter im Daumen, der tief im weichen Fleisch unter dem Nagel steckte, widersetzte sich. Sie beschloss, ihn stecken zu lassen und mit dem Unternehmen fortzufahren.
    Was du vorhast, ist völliger Wahnsinn, sagte eine nervöse Stimme zu ihr. Kein UFO; es war die Stimme, die Jessie nur zu gut kannte. Es war die Stimme ihrer Mutter. Nicht dass mich das überraschen würde, weißt du; es ist eine dieser typisch überspannten Jessie-Burlingame-Reaktionen, von denen ich schon Tausende gesehen habe. Denk nach, Jessie – warum möchtest du dich aufschneiden und möglicherweise verbluten? Jemand wird kommen und dich retten; alles andere ist einfach undenkbar. Im eigenen Sommerhaus sterben? In Handschellen sterben? Vollkommen lächerlich, glaub mir. Also sieh zu, dass du deine normale nörgelnde Natur überwindest, Jessie – nur dieses eine Mal. Schneid dich nicht mit dem Glas. Tu es nicht!
    Das war ihre Mutter, kein Zweifel, die Mimikry war so gut, es war schon richtig unheimlich. Sie wollte einen davon überzeugen, dass man Liebe und gesunden Menschenverstand hörte, die sich als Wut maskiert hatten, und obwohl die Frau nicht völlig unfähig gewesen war zu lieben, glaubte Jessie, dass die wahre Sally Mahout diejenige war, die eines Tages in Jessies Zimmer gestürmt war und ihr ohne ein Wort der Erklärung, weder da noch später, ein Paar Schuhe mit hohen Absätzen hingeworfen hatte.
    Außerdem war alles, was die Stimme gesagt hatte, eine Lüge. Eine feige, dreckige Lüge.
    »Nein«, sagte sie, »ich glaube dir nicht. Niemand kommt … außer vielleicht der Typ von gestern Abend. Kein Muffensausen also.«
    Damit senkte Jessie das rechte Handgelenk über die funkelnde Glasscherbe.

31
     
     
     
    Es war unbedingt erforderlich, dass sie sah, was sie machte, weil sie anfangs fast gar nichts spürte; sie hätte das Handgelenk in blutige Streifen schneiden können und trotzdem nichts gespürt, abgesehen vielleicht von den wie aus weiter Ferne kommenden Gefühlen von Druck und Wärme. Sie war überaus erleichtert festzustellen, dass das kein Problem sein würde; sie hatte das Glas an einer günstigen Stelle auf dem Regal zertrümmert ( Endlich ein Durchbrach!, jubilierte ein Teil ihres Verstandes sarkastisch), und ihr

Weitere Kostenlose Bücher