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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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und welche Zeit man auch immer schreiben mochte, es wurde Zeit.
    Eines noch, bevor du anfängst. Du hast dich bis zur Vergasung hochgeschaukelt, und das ist gut so, aber bleib auf dem Teppich. Wenn du damit anfängst, dass du das verdammte Glas auf den Boden fallen lässt, bist du wirklich im Arsch.
    »Bleib draußen, Hund!«, rief sie schrill und ohne zu wissen, dass der Hund schon vor einigen Minuten in das Wäldchen jenseits der Einfahrt zurückgewichen war. Sie zauderte noch einen Augenblick und überlegte sich ein neues Gebet, aber dann entschied sie, dass sie genug gebetet hatte. Jetzt war sie auf ihre Stimmen angewiesen … und auf sich selbst.
    Sie griff mit der rechten Hand nach dem Glas, bewegte sich aber ohne die vorherige zaghafte Sorgfalt. Ein Teil von ihr – wahrscheinlich der Teil, der Ruth Neary gemocht und bewundert hatte -, war sich darüber im Klaren, dass dieser letzte Job sich nicht um Vorsicht und Zaghaftigkeit drehte, sondern nur darum, mit dem Hammer draufzuschlagen, und zwar fest.
    Jetzt muss ich die Samurai Lady sein, dachte sie und lächelte.
    Sie schloss die Finger um das Glas, für das sie so große Anstrengungen auf sich genommen hatte, betrachtete es einen Moment lang neugierig – wie eine Gärtnerin, die eine unerwartete Pflanze zwischen ihren Bohnen oder Erbsen entdeckt hatte – und hielt es fest. Sie kniff die Augen fast völlig zu, um sie vor fliegenden Scherben zu schützen, dann schlug sie das Glas fest auf die Kante des Regals wie jemand, der die Schale eines hartgekochten Eis aufschlug. Das Geräusch, das das Glas von sich gab, klang absurd vertraut, absurd normal, ein Geräusch, das sich in nichts von den hundert anderen Gläsern unterschied, die ihr entweder beim Spülen zwischen den Fingern durchgerutscht waren oder die sie seit der Zeit, als sie mit vier Jahren den Aufstieg von der Dandy-Duck-Tasse aus Plastik geschafft hatte, mit den Ellbogen oder Händen auf den Boden gestoßen hatte. Dasselbe alte Schrab-Klirr; kein besonderer Klang deutete darauf hin, dass sie gerade die einmalige Aufgabe begonnen hatte, ihr Leben zu riskieren, um es zu retten.
    Sie spürte einen winzigen Splitter, der ihr als Querschläger an die Stirn prallte, unmittelbar über der Braue, aber das war der einzige, der sie im Gesicht traf. Ein anderes Stück – ein großes, wie es sich anhörte – prallte vom Regal ab und zerschellte auf dem Boden. Jessie hatte die Lippen zu einer schmalen weißen Linie zusammengepresst, weil sie auf die naheliegendsten Schmerzen wartete, zumindest als Auftakt: in den Fingern. Mit diesen hatte sie das Glas fest umklammert, als es zerbarst. Aber sie verspürte keine Schmerzen, lediglich ein Gefühl von schwachem Druck und noch schwächerer Wärme. Verglichen mit den Krämpfen, die sie in den vergangenen paar Stunden verspürt hatte, war es gar nichts.
    Das Glas muss glücklich gebrochen sein, und warum auch nicht? Wird es nicht Zeit, dass ich ein bisschen Glück habe?
    Dann hob sie die Hand und sah, dass das Glas doch nicht glücklich gebrochen war. Dunkelrote Blutblasen schwollen an den Spitzen des Daumens und drei ihrer vier Finger an; nur der kleine hatte keine Schnittwunde davongetragen. Glasscherben ragten wie unheimliche Federn aus dem zweiten und dritten Finger heraus. Aufgrund der schleichenden Taubheit in ihren Gliedmaßen – und möglicherweise wegen der scharfen Kanten des Glases – hatte sie die Schnitte kaum gespürt, aber sie waren da. Vor ihren Augen tropften dicke Blutstropfen auf die rosa gesteppte Matratze und befleckten sie mit einer ungleich dunkleren Farbe.
    Als sie die schlanken Glassplitter sah, die aus ihren beiden Mittelfingern wie Nadeln aus einem Nadelkissen ragten, war ihr zumute, als müsste sie sich übergeben, obwohl sie nichts im Magen hatte.
    Eine schöne Samurai Lady bist du, höhnte eine der UFO-Stimmen.
    Aber das sind meine Finger!, schrie sie sie an. Siehst du das denn nicht? Meine Finger!
    Sie spürte Panik aufkommen, drängte sie zurück und konzentrierte ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Scherbe des Wasserglases, die sie noch in den Händen hielt. Es war ein gekrümmtes Oberteil, etwa ein Viertel des Ganzen, das auf beiden Seiten in Form zweier runder Bogen gebrochen war. Diese liefen zu einer fast perfekten Spitze zusammen, die in der Nachmittagssonne grausam funkelte. Möglicherweise ein Glücksfall. Das hieß, wenn sie den Mut aufbrachte. Für sie sah diese spitz zulaufende Glasscherbe wie eine fantastische Märchenwaffe

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