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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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die auch auf der Party gewesen waren, wirkten ziemlich blass und übermüdet.
    »Wartest du auf mich?« Rose stellte sich an einer langen Schlange vor den Spiegeleiern an.
    Julia nickte und betrachtete Rose. Ihr war nicht anzusehen, dass sie am Abend zuvor um Roberts und Davids Leben gefürchtet hatte. Oder war es ihr gar nicht um Robert gegangen, fragte sich Julia plötzlich. Vielleicht sollte sie diesem Mädchen nicht so stark vertrauen? Andererseits war Rose diejenige gewesen, die das größte Verständnis für ihren Bruder gezeigt hatte. Nur, dass sie ihn jetzt zum Psychologen schicken wollte, ohne zu ahnen, dass sie ihn damit zerstörte.
    Diesmal kam der Flashback, ohne dass Julia es hätte verhindern können. Sonst waren es eher Erinnerungen, die sie mehr oder weniger mühelos zurückdrängen konnte, aber das hier – das war anders.
    Julia sah es wieder vor sich – fühlte und roch es. Als sie nach der Nacht mit Kristian nach Hause gekommen war, hatte die Tür zum Arbeitszimmer ihres Vaters offen gestanden. Ausgerechnet das Arbeitszimmer. Es war der Todesstreifen im Haus gewesen. Geradezu vermintes Gebiet. Der Raum, den Dad besetzt hielt. Keiner betrat ihn einfach so.
    Damals hatte sie sich zum letzten Mal gefühlt, als sei das Leben wie diese lange Theke hier. Man musste sich anstellen, warten, aber irgendwann bekam man, was man wollte.
    Sie roch wieder diesen Geruch, der in der Luft gelegen hatte. Noch jetzt wurde es Julia schlecht, wenn sie daran dachte. Sie hatte die Tür aufgestoßen und – das Zimmer hatte ausgesehen, als wäre ein Minitornado durch den Raum gefegt. Jede Schublade und jeder Schrank schienen durchwühlt worden zu sein. Unzählige Aktenordner lagen über den Boden verstreut, das Parkett war mit Papieren übersät. Und Schubladen, zu denen nur Dad einen Schlüssel besaß, waren bis zum Anschlag herausgezogen, hingen lose in den Scharnieren.
    Überall lagen Dads Schallplatten herum. Teilweise in Stücke zerbrochen.
    Die Beatles, Pink Floyd, Santana.
    Die Bands, die er verehrte, als hätten diese Gruppen die Musik erst in den Siebzigern erfunden.
    Am schlimmsten aber war dieser Geruch.
    Und dieses Geräusch!
    Ein beharrliches Kratzen. Es drang in ihr Bewusstsein, setzte sich in ihrem Gehör fest, bohrte sich entschlossen und unaufhaltsam einen Weg in Richtung Gehirn.
    »Spiegeleier sind gerade ausgegangen.« Debbie stand neben ihr und kratzte mit dem Löffel die Schüssel Cornflakes leer.
    »Verdammt!« Rose kam zurück. Selbst wenn sie müde aussah, strahlte ihr Gesicht eine ungeheure Anziehung aus, als verliehen ihm die Schatten unter den Augen noch eine zusätzliche Schönheit. »Wenn ich verkatert bin, habe ich am nächsten Morgen immer einen Wahnsinnshunger.«
    »Ich auch.« Debbie starrte auf Julias Tablett. »Ist das alles, was du isst?«
    Julia zuckte mit den Schultern.
    »Na, da hast du ja etwas mit deinem Bruder gemeinsam. Der trinkt nur Wasser zum Frühstück. Wie ekelhaft ist das denn?« Sie schaute sich um. »Es sitzt übrigens mit David da vorn, direkt am Fenster.«
    Gemeinsam drängten sie sich durch die Menge. Satzfetzen drangen an Julias Ohr. Ein paar getuschelte Bemerkungen über die Party, aber vor allem über das Wetter in der letzten Nacht.
    »Weltuntergang«, sagte einer aus den oberen Jahrgängen. Sie erkannte ihn wieder. Er war auch auf dem Bootssteg gewesen. Gott sei Dank bemerkte er sie nicht. Im Grunde wartete Julia nur darauf, dass jemand sie auf gestern Abend ansprach.
    »Die Apokalypse«, hörte Julia. »Ich möchte die Nacht nicht freiwillig im Freien verbracht haben.«
    »Ja, manche Leute kommen auf abartige Gedanken.«
    Doch Julia hörte nicht länger zu, denn sie passierten gerade den Tisch, an dem Alex saß. Sie überlegte, ob sie noch einmal nach dem Bus fragen sollte. Doch nach einem Blick stellte sie fest: Der ältere Student sah müde, erschöpft und schlecht gelaunt aus. Und nach seinem Auftritt gestern Abend hatte sie darauf nun wirklich keine Lust. Noch immer nahm sie ihm übel, dass er ihr eine Entscheidung abverlangt hatte, die sie nicht hatte treffen wollen. Obwohl – war das seine Schuld gewesen? Sie konnte ihn schlecht für ihr eigenes Handeln verantwortlich machen, oder?
    Er würdigte die kleine Gruppe keines Blickes, nicht einmal als Debbie schrie: »Wollen wir nicht draußen frühstücken?«
    Julia wandte den Blick in Richtung der Glasfront, die die Mensa zum See hin abschloss und hinaus auf einen lang gestreckten Balkon führte. Einige

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