Das Spiel
Tals, der abgesperrt ist. Es ist sogar ein Schild vorhanden, das verkündet: Sperrgebiet. Unbefugter Zutritt strengstens verboten. Und wenn ich mich recht entsinne, ist dort auch ein Zaun.« Er räusperte sich. »Da Sie alle in diesem College über einen überdurchschnittlichen IQ verfügen, kann ich doch davon ausgehen, dass Sie Schilder lesen können, oder etwa nicht? Oder dass Sie sich über die Bedeutung von Zäunen im Klaren sind.« Schlagartig wurde er ernst. »Hat jemand etwas zu diesem Vorfall zu sagen?«
Stille.
Keiner der Studenten meldete sich zu Wort, Brandons ironisches Lächeln erschien wieder auf seinem Gesicht. »Aha, es geht um den Ehrenkodex des Grace«, sagte er. »Verstehe. Die Herrschaften haben vereinbart, den Mund zu halten, nicht wahr? Was uns zu einer Menge interessanter Fragestellungen bringt, finden Sie nicht auch? Wie geschaffen für unseren Kurs. Wann beginnt Verrat? Wann beginnt Verantwortung? Was bedeuten Regeln in einer Gemeinschaft wie dieser? Und um zu präzisieren, was bedeuten Regeln konkret, wenn man in einem abgelegenen Tal lebt, in dem jeder auf den anderen angewiesen ist? Also – was fällt Ihnen dazu ein?«
»Dass keiner ohne den anderen kann?«, erklang Benjamins Stimme. »Und damit die Chancen auf Sex verdammt gut stehen?«
Gelächter machte sich breit.
Brandon zog eine Augenbraue in die Höhe. »Der Einzige, verehrter Mr Fox, der in meinem Seminar Witze macht, bin ich. Aber wenn Sie schon unbedingt einen wertvollen Beitrag zu diesem Seminar leisten wollen, dann würde ich sagen, bestimmen Sie doch gleich das Thema des heutigen Tages.« Brandon machte eine Handbewegung zum Pult hin. »Sie können gerne meinen Platz einnehmen. Na, wie steht’s? Irgendeine Idee?«
Benjamin lehnte sich im Sitz zurück und verschränkte die Arme. »Warum soll ich Regeln einhalten, die ich nicht gemacht habe?«
»Weil du nicht allein auf der Welt lebst?« Das war ein Zwischenruf von weiter vorn. »Nur so ist Gemeinschaft überhaupt möglich.«
»Aber sollte man sich nicht die Typen aussuchen dürfen, mit denen man zusammenlebt?«, meldete sich Katie zu Wort.
Der Großteil der Studenten brachte seine Zustimmung durch lautes Klopfen zum Ausdruck.
»Eben«, rief Benjamin. »Wenn wir von Gemeinschaft reden – warum machen dann nur einige wenige die Regeln? Das fängt doch schon mit der Aufnahmeprüfung hier am Grace an. Wer entscheidet, wer drin ist, wer draußen bleibt?« Er wandte sich an seine Mitstudenten. »Leute, sehen wir den Tatsachen ins Auge: Wir werden im Prinzip von einer elitären Gruppe von Gruftis beherrscht. Das Alter und der Rang bestimmen hier, was hier abgeht, nichts sonst.«
Allgemeines Gelächter und Zustimmung waren zu hören.
Julia bemerkte, wie Robert aufblickte und schließlich aufstand.
»Wir sollten nicht von Regeln sprechen. Vielmehr geht es um Ursache und Wirkung. Wenn a, dann b. In der Logik bezeichnet man das als Implikation. Vorschriften ohne Beschreibung der Folgen sind unvollständig. Der Mensch kann erst frei entscheiden, ob er sich an Vorschriften hält, wenn er über die Folgen aufgeklärt wird.«
»Kant!«, rief ein Mädchen mit wilden blonden Locken. »Immanuel Kant. Dieser komische Deutsche, der nie aus seinem Kaff rauskam. Hat der nicht dazu was gesagt?«
»Aufklärung«, zitierte Robert, »ist die Entlassung des Menschen aus der Unmündigkeit.«
»Genau und damit meinte er, dass unmündig ist, wer nichts in der Birne hat und einfach tut, was irgendein Guru verlangt.«
»Und so blöd sind wir nicht«, ergänzte Benjamin.
»Sie bringen also Kant ins Spiel.« Brandon lächelte. Ein zufriedener Ausdruck hatte sich auf sein Gesicht gelegt. Offenbar war die Diskussion ganz nach seinem Sinn. Gerade wollte er sich wieder an die Studenten wenden, da klopfte es an die Tür. Eine jüngere Kollegin von ihm trat herein, ging geradewegs zum Mikrofon, sah auf einen Zettel in ihrer Hand.
»Robert Frost«, las sie. »Bitte kommen Sie für einen Moment mit zur Collegeleitung.«
Kapitel 14
Julia fühlte, wie ein eiskalter Schreck sie durchfuhr. Getuschel breitete sich im Saal aus. Was war passiert? Warum wurde Robert zum Dekan gerufen? Hatte das etwas mit der verbotenen Party und den Vorfällen von gestern zu tun?
Robert erhob sich, schob sich an Rose vorbei, die ihn mitleidig ansah, und trat aus der Reihe. Er war die Ruhe selbst, als er die Stufen nach unten ging und der Frau aus dem Seminarraum folgte.
Julia rührte sich nicht. Auch nicht, als das
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