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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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Zeichen von Stress? So was wie Pickel? Bekommt ihr einen plötzlichen Testosteronschub?«, spottete sie.
    »Halt die Klappe, Julia!« Chris ballte die Fäuste zusammen, seine Knöchel schimmerten weiß. »Halt einfach die Klappe und lass die Spiele!«
    Die Wut, die plötzlich in ihm hochschoss, erschreckte Julia zutiefst, und als hätte er ihre Gedanken gelesen, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen: »Du lügst, wenn du den Mund aufmachst. Du lügst, um etwas zu verbergen. Und – du zeigst mir mit jedem Wort, mit jeder Geste, jedem Blick, dass du mir nicht vertraust.«
    Sie starrte ihn an. Ihr Herz zog sich zusammen. Sie versuchte ihre Gefühle in ihren Blick, ihren Gesichtsausdruck zu legen.
    Ich will dir ja vertrauen, hätte sie am liebsten geschrien. Aber es geht nicht darum, was ich will! Wenn ich dir vertraue, musst du auch Grund haben, mir zu vertrauen! Aber wie soll das funktionieren, wenn mein ganzes Leben aus Lügen besteht?
    Ahnte er, was in ihr vorging?
    Empfand er ihre Verzweiflung?
    Spürte er den Wunsch, sich einfach alles von der Seele reden zu können?
    Nur ein Moment des Schweigens. Das Warten, als entscheide das Ticken der Uhr, was nun passierte.
    »Bitte«, flüsterte er plötzlich. Er kniete sich neben ihr Bett und strich ihr über die Wange. »Sprich mit mir.«
    Sie spürte die Tränen kommen, als sie den Kopf zur Wand drehte und den Kopf schüttelte.
    Sie hörte, wie er sich erhob.
    »Okay, dann gibt es wohl keinen Grund, länger zu bleiben.«
    Sie hörte seine Schritte, als er sich der Tür näherte, dann verharrten sie, als erwarte er, dass sie einlenkte.
    »Chris!«, sagte sie mit erstickter Stimme und wandte sich ihm zu.
    »Ja!« Er blickte sie an, voller Hoffnung, Julia hätte es sich anders überlegt.
    Sie würde ihn enttäuschen. »Kann ich mir deinen Laptop ausleihen?«, fragte sie.
    Entweder er würde sie jetzt schlagen – oder er würde wortlos aus dem Zimmer rennen und nie wieder ein Wort mit ihr wechseln. Und sie konnte es ihm nicht einmal verdenken.
    »Er steht in meinem Zimmer«, sagte er. Jegliche Emotion war sorgfältig aus seiner Stimme verbannt.
    Vielleicht, dachte Julia, heißt Liebe, dem anderen auch zu vertrauen, selbst wenn man weiß, er lügt.
    Sie sah ihn an. Chris’ Blick war auf sie gerichtet.
    »Danke«, flüsterte sie.
    »Möchtest du nicht mein Passwort wissen, Julia?«, fragte er.
    *
    Diese Nacht war eine dieser stillen Nächte im Tal. Der Mond hing über den Bergen und tauchte die Landschaft in ein unwirkliches dunkelblaues Licht. Julia konnte die Nacht riechen. Sie schmeckte nach Wald, nach Erde, nach Wasser und – nach Angela Finders Tod.
    Julia fröstelte.
    Es war zwar die schwärzeste Finsternis, in die Julia je geblickt hatte, doch auch der schönste Sternenhimmel, den sie je gesehen hatte. Die Berge spiegelten sich in dem windstillen Wasser des nächtlichen Gletschersees. Es war Neumond und die Sterne glitzerten: winzige Diamanten in der totalen Finsternis. Oberhalb vom Ghost erstreckte sich die Milchstraße mit den Sternbildern Kassiopeia und rechts davon Perseus. In diesem Sternbild lag, Robert hatte es ihr erklärt, der Stern Agol, auch Teufelsstern oder Dämon der Wüste genannt, weil er in bestimmten Abständen seine Helligkeit veränderte.
    Irgendwo dort oben konnte vielleicht jemand ihr Schicksal vorhersehen. Er konnte es bestimmen. Aber ihre Vergangenheit gehörte ihr und sie musste sie schützen.
    Erst hier im Tal hatte Julia eine solche Stille kennengelernt. Ihre Kindheit hatte sie in einer Stadt mit Hochhäusern verbracht, Autostaus, durchgeknallten Pennern vor der Tür, Feuerwehrwagen, die durch die Straßen rasten, das Martinshorn der Cops, die lauten Partys, die ihre Eltern gaben. Die dröhnende Rockmusik aus den Siebzigern. Pflanzen gab es so gut wie keine – na ja, außer einigen Bäumen in der Straße. Irgendwie hätten die auch aus Plastik sein können. Jedenfalls veränderten sie sich im Lauf der Jahre, als sie dort wohnten, kaum.
    Vielleicht waren sie ja auch aus Plastik gewesen.
    Ach ja, sie hatte die Tiere vergessen! Kastrierte Hunde und streunende Kater.
    Und wenn Julia so recht überlegte, dann waren wohl die Autos die heimlichen Herrscher über ihre Heimatstadt gewesen.
    Gewesen.
    Denken ist ein Prozess, den man lernen muss zu steuern. Dad hatte immer gesagt: Du bist viel zu emotional.
    Mums Worte: Pass auf Robert auf.
    Mum und Dad waren beide tot. Und weder Robert noch sie hatten geahnt, in welche Dinge ihr Vater verstrickt

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