Das Spiel
gefunden?«
Noch immer darauf konzentriert, Luft in ihre Lungen zu pumpen, schüttelte Julia den Kopf und dachte an die Kette in ihrem Ausschnitt. Eine Kette, an der ein Medaillon befestigt war.
»Nur das hier«, hörte sie Katie murmeln. In ihrer Hand hielt sie zwei seltsame gezackte Gebilde aus Metall.
»Was ist das denn?«
»Steigeisen«, strahlte Katie. Sie schien glücklich zu sein – zum ersten Mal, seit Julia sie kannte.
Nur Chris hatte sich bisher noch nicht gerührt. Er saß ein wenig abseits und die Hände verbargen sein Gesicht. Julia starrte zu ihm hinüber. In diesem Moment hob er den Kopf und seine Augen waren dunkel, ja, fast schwarz.
*
Später, sie wusste nicht wirklich, wie sie ins College zurückgekommen war, flüchtete Julia sich in die Gemeinschaftstoilette neben der Empfangshalle. Was sie morgens unten im Wasser erlebt und gefühlt hatte, konnte sie niemandem mitteilen. Sie versuchte sich so normal wie möglich zu verhalten und hoffte, keiner würde bemerken, wie viel Kraft es kostete. Und es fiel umso schwerer, als sie immer wieder Verwunderung darüber hörte, dass sie es mehr als vier Minuten unter Wasser ausgehalten hatte.
Sie starrte die Kette an.
Das silberne Medaillon wog schwer in ihrer Hand.
Nichts wies darauf hin, dass es schon fast eine Woche im See gelegen hatte.
Julia konnte es sich selbst nicht erklären, warum sie es niemandem zeigte. Oder doch – sie wusste es im Grund genommen. Denn bis auf Robert kannte sie niemanden hier am College. Nicht richtig.
Weder ihre Mitbewohnerinnen noch die anderen aus ihrem Jahrgang und schon gar nicht die Studenten aus den älteren Semestern. Vor ihrer Abreise hatte man ihr eingetrichtert, dass sie niemandem trauen durfte.
Also auch nicht Chris?
Nein, auch nicht Chris.
Sie war ihm sowieso schon zu nahe gekommen.
Viel zu nahe.
Sie holte tief Luft und öffnete das Medaillon. Wie durch ein Wunder war kein Wasser in das Gehäuse eingedrungen. Innen war es völlig trocken. Ihre Hand griff nach dem schwarzen Gegenstand, der unversehrt und wohlbehalten die Tage unter Wasser in seinem silbernen Versteck überstanden hatte.
Im ersten Moment hatte sie keine Ahnung, worum es sich handelte. Doch dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Was sie in der Hand hielt, war der kleinste USB-Stick, den sie je gesehen hatte. Und nicht nur das. Das schwarze Metallgehäuse war mit winzigen Strasssteinen verziert.
Kapitel 28
Das Hinabtauchen auf den Grund des Lake Mirror war nicht spurlos an Julia vorübergegangen. Sonntagabend lag sie in ihrem Zimmer auf dem Bett und spürte bereits ein ekelhaftes Kratzen im Hals. Ihr war kalt und der Druck auf den Schläfen würde spätestens morgen früh zu stechenden Kopfschmerzen werden.
Die Dinge stehen schlecht, dachte sie.
Kurz vor acht Uhr klopfte es an ihre Tür und Chris betrat das Zimmer. Er setzte sich nicht, sondern blieb vor ihrem Bett stehen. Seine grauen Augen musterten sie düster.
»Kommst du mit ins Kino?«
»Nein, ich bin müde«, antwortete sie. »Ich bleibe lieber im Bett. War schließlich ein anstrengender Tag.«
Und wow! Sie schaffte es tatsächlich zu lächeln.
Doch er erwiderte das Lächeln nicht. Stattdessen murmelte er zwischen zusammengepressten Zähnen: »Mach das nie wieder!«
Es klang wie eine Drohung.
»Was?«, fragte Julia, obwohl sie genau wusste, wovon er sprach.
»Dein Leben aufs Spiel setzen.«
»Nein«, erwiderte sie. »Ganz bestimmt nicht. Ich bin doch nicht blöd.«
»Da bin ich mir nicht so sicher.«
»Vielen Dank!« Wieder bemühte sie sich um einen heiteren, spöttischen Tonfall, der ihr jedoch gründlich misslang. Es klang erbärmlich, was durch die Heiserkeit verstärkt wurde.
»Was hast du dort unten so lange gemacht?« Seine Hand fuhr über das unrasierte Kinn.
»Ich hatte nun mal keine Uhr dabei. Übrigens … du solltest dich wieder einmal rasieren.«
»Das ist nicht das Thema.«
Sein Gesicht sagte ihr: Lenk nicht ab!
Okay, es war offensichtlich Julias früheres Ich, das hier zum Vorschein trat. Und vermutlich konnte man sich nicht für immer und ewig unter Kontrolle halten und die Rolle eines fremden Menschen übernehmen, wenn man genau das nie im Leben gewesen war. Es war ihr früheres Ich, das den Spott nicht länger zurückhielt, das den Widerspruch zum Markenzeichen machte und die Provokation liebte. Nie, nie hatte sie zugelassen, dass ein anderer Mensch ihre Unsicherheit erkannte.
»Meinst du, plötzlicher Bartwuchs bei Männern ist ein
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