Das Spiel
große Tische mit Gipsmodellen der Burg, manche wirklichkeitsgetreu, andere die Veranschaulichung möglicher Verbesserungen — Früchte einer der Leidenschaften König Olins, jetzt aber ebenso vergessen wie der staubige, mumifizierte Körper einer Maus, der mitten in der Tür lag.
Merolanna beäugte den kleinen Körper angewidert. »Irgendjemand sollte etwas unternehmen. Welchen Sinn hat es, Katzen zu halten, wenn sie die Mäuse nicht fressen, sondern herumliegen und verrotten lassen?«
»Katzen fressen ihre Beute nicht immer, Euer Gnaden«, sagte Utta. »Manchmal spielen sie damit nur und töten sie dann zum Spaß.«
»Widerliche Kreaturen. Ich habe Katzen noch nie gemocht. Dann schon lieber einen Jagdhund. Dumm aber ehrlich.« Merolanna sah sich nach heimlichen Lauschern um — ein Reflex, da sie ja ganz allein waren. Dennoch sprach sie jetzt leise. »Das ist ein Grund, warum mir Gailon Tolly bei all seinen Fehlern immer noch lieber war als seine Brüder. Wenn jemand eine Katze ist, dann Hendon. Man sieht ihm die Grausamkeit an, er trägt sie wie einen ausgefallenen Anzug — mit Stolz.«
Utta nickte, während sie die mit Spinnweben überzogenen Modelle hinter sich ließen und die nächste Treppe in Angriff nahmen. Selbst Zoria wäre es zweifellos schwergefallen, Hendon Tolly mit Nächstenliebe zu begegnen.
Die Türen im zweiten und dritten Stock waren kleiner und abgeschlossen. Sie vermutete, dass zumindest letzterer Raum König Olins berühmte Bibliothek enthielt. Der Turm war immer sein Allerheiligstes gewesen, und obwohl Olin jetzt schon so lange weg war, schien es ihr respektlos, ohne königliche Erlaubnis hier herumzuschnüffeln.
Aber ich bin doch mit Merolanna hier — der Tante des Königs,
rief sie sich in Erinnerung.
Wenn das nicht Erlaubnis genug ist, was dann?
Die Tür zum obersten Turmzimmer stand offen, obwohl Utta sich merkwürdig sicher war, dass sie normalerweise verschlossen war wie die Türen in den darunter liegenden Stockwerken. Drinnen brannte kein Licht, und von dem Treppenabsatz, wo die beiden Frauen standen, reichte der Schein der Fackel kaum durch die Türöffnung. Als Utta sich der Tür näherte, bewegten sich die Schatten im Raum. Ihr stockte jetzt plötzlich der Atem.
Zoria, bewahre mich vor bekannten und unbekannten Gefahren,
betete sie,
vor Gefahr für den Leib und Gefahr für die Seele.
»Euer Gnaden?«
Merolanna runzelte die Stirn, als ob sie sich über sich selbst ärgerte. Sie hatte sich nicht vom oberen Ende der Treppe weggerührt. »Nun gut. Ich komme.« Sie zögerte noch einen Moment, trat dann an Uttas Seite. Gemeinsam wagten sie sich durch die Tür, beide mit angehaltenem Atem. Utta hob die Fackel höher.
Wenn der Raum mit den Gipsmodellen unten im Turm schon wie eine Rumpelkammer gewirkt hatte, so war das hier noch ein ganz anderes Kaliber von Unordnung. Überall auf dem Boden und auf allen waagrechten Flächen türmten sich wacklig aussehende Bücherstapel, und aufgeschlagene Bände häuften sich auf den beiden langen Tischen.
Nicht wenige lagen mit geknicktem Rücken, brütenden Vögeln ähnlich, zuoberst auf Haufen oder Stapeln — wohl so wie sie der König zuletzt hinterlassen hatte. Viele hatten in der Zwischenzeit Seiten verloren: Eine Schicht von gewelltem Pergament bedeckte den Boden wie trockenes Laub.
Für Utta, die in der Sparsamkeit der Schwesternschaft erzogen worden war, wo Bücher ein kostbares, teures Gut waren und nur mit Erlaubnis der
Adelfa,
der Vorsteherin der Schwestern vom Zorienschrein, gelesen werden durften, war diese achtlos behandelte Fülle erheiternd und schockierend zugleich.
»Was für eine schreckliche Unordnung!«, sagte Merolanna. »Und fürchterlich kalt ist es hier auch. Ich zittere, Utta. Würdet Ihr nachsehen, ob es hier Holz gibt, und Feuer machen?«
»Entzündet keine Feuer, große Damen!«, piepste ein dünnes Stimmchen. »Ich bitt Euch, denn sonst versengt Ihr meine Herrin aufs Prasselndste!«
Utta zuckte zusammen und ließ die Fackel fallen, die durch eine höchst glückliche Fügung auf einer der wenigen Stellen des Fußbodens landete, die nicht mit Buchseiten bedeckt waren. Sie hob sie hastig wieder auf und dankte Zoria im Stillen dafür, dass sie nicht den ganzen Turm in Brand gesetzt hatte. »Was ...?«
Merolanna hatte bei den mysteriösen Worten leise aufgeschrien und umklammerte jetzt Uttas Schulter so fest, dass die Zorienschwester ihrerseits nur mit Mühe einen Schrei unterdrücken konnte. »Es war hier!
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