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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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durch Tapferkeit und Genialität aus tiefstem Elend emporgekommen war.
    »Die Wahrheit«, erinnerte sie ihn, als sie ihn zögern sah.
    »Die meisten im Hafenviertel sind arm, ja, aber wir waren wohlhabender als das Gros der Leute. Mein Vater war Hauslehrer bei mehreren Kaufmannsfamilien. Wir hätten besser leben können, aber mein Vater war ... er konnte nicht gut mit Geld umgehen.« Aber er war gut darin, es für Alkohol auszugeben, und nach Meinung manches seiner Dienstherrn ein wenig zu frei heraus mit seinen Ansichten, dachte Kettelsmit nicht ohne eine gewisse Bitterkeit, obwohl der alte Mann schon seit Jahren tot war. »Aber wir hatten immer etwas zu essen auf dem Tisch. Mein Vater hatte an der Ostmark-Akademie studiert. Er lehrte mich die Liebe zum Wort.«
    Was entgegen seinem Versprechen nicht ganz die reine Wahrheit war — was ihn Kearn Kettelsmit wirklich gelehrt hatte, war ein ausreichend gutes Verhältnis zu Wörtern, um sich aus üblen Situationen heraus- und in gute hineinreden zu können.
    »Ach ja, Worte«, sagte Elan M'Cory sinnierend. »Ich habe einst an sie geglaubt. Jetzt tue ich es nicht mehr.«
    Kettelsmit war sich nicht ganz sicher, ob er sie verstanden hatte. »Was meint Ihr?«
    »Nichts, ich meine nichts.« Sie schüttelte den Kopf; plötzlich bröckelte die fragile Fassade geistvoller Witzigkeit. Sie sah ein paar Atemzüge lang auf ihre Stickarbeit. »Ich habe Euch schon zu lange aufgehalten«, sagte sie schließlich. »Ihr müsst mit Eurem Tagwerk vorankommen, und ich muss weiter meine Handarbeit ruinieren.«
    Er erkannte, dass er entlassen war, und diesmal war er zu befriedigt, um zu versuchen, noch ein wenig mehr zu ergattern. »Ich habe das Gespräch mit Euch sehr genossen, edles Fräulein«, sagte er und meinte es ernst. »Darf ich hoffen, bald wieder einmal das Vergnügen zu haben?«
    Das Kreischen der Ball spielenden Mädchen wurde lauter und füllte die lange Schweigepause. Sie sah ihn abwägend an, und es war, als ob sie sich hinter eine hohe Mauer zurückgezogen hätte und von den Zinnen auf ihn herabspähte. »Vielleicht«, sagte sie schließlich. »Falls Ihr Euch nicht zu viel erhofft. Meine Gesellschaft ist nichts, worauf man hoffen könnte.«
    »Jetzt seid Ihr es, die nicht die Wahrheit sagt, edles Fräulein.«
    Sie runzelte die Stirn, aber nachdenklich, nicht unwirsch. »Es kann sein, dass Ihr mich gelegentlich des Nachmittags, wenn es nicht regnet, hier in diesem Garten findet, ungefähr zu dieser Tageszeit.«
    Er stand auf und verbeugte sich. »Ich freue mich auf diese Tage.«
    Sie lächelte ihr trauriges Lächeln. »Geht und gesellt Euch zu den Lebenden, Matty Kettelsmit. Vielleicht werden wir uns wieder begegnen, wie Ihr sagtet. Vielleicht ja.«
    Er verbeugte sich wieder und ging davon. Es kostete ihn alle Kraft, sich nicht umzudrehen, jedenfalls nicht sofort. Als er es dann tat, war die Bank, auf der sie gesessen hatte, leer.

    Herzogin Merolanna zögerte am Fuß der Turmtreppe, als die Tür knarrend hinter ihnen zuschwang. »Oh, ich bin eine Närrin.«
    Das Knarren endete in einem leisen, dumpfen Schlag, als die Tür ins Schloss fiel. Der Luftzug ließ die Fackeln in den Haltern flackern. »Was meint Ihr, Euer Gnaden?«
    »Wir sind ohne eine einzige Wache hierher gekommen. Und wenn es nun Mörder sind?«
    »Aber Ihr wünschtet, dieses Unternehmen geheim zu halten. Sorgt Euch nicht zu sehr, Herzogin — ich bin einigermaßen in Form und kann Euch notfalls mit einer dieser Fackeln verteidigen.« Sie reckte sich, um eine aus dem Halter zu heben. »Selbst ein Mörder wird keinen Gefallen daran finden, dieses Ding ins Gesicht zu bekommen.«
    Merolanna lachte. »Ich habe mir eher Sorgen um
Euch
gemacht, gute Schwester Utta, als um mich. Ihr verdient es nicht, wegen dieser seltsamen Spiele, auf die ich mich eingelassen habe, zu Schaden zu kommen. Was mir geschieht, kümmert mich nicht. Ich bin alt, und all meine Küken sind tot oder geflohen oder verschwunden ...« Für einen Moment wurde ihr Gesicht schmerzlich ernst, und ihre Lippen zitterten. »Ach ja. Nun gut.« Die Herzogin holte Luft und drückte das Rückgrat durch, sodass sie dank ihres üppigen Busens wie ein kleines, aber einschüchterndes Schlachtschiff wirkte. »Es nützt nichts, dass wir hier herumstehen und flüstern wie zwei verängstigte kleine Mädchen. Kommt, Utta. Ihr habt die Fackel. Geht voran.«
    Sie erklommen die Wendeltreppe. Der erste Stock war unbewohnt. In dem nicht unterteilten Raum standen mehrere

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