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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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seinen Versen bemüht hatte. So also fühlte sich das an! Alle Dichter sollten gezwungen werden, das, worüber sie schrieben, am eigenen Leibe zu fühlen, befand Kettelsmit. Es war ein völlig neuartiger Weg, die poetischen Figuren zu verstehen. Es könnte das Handwerk von Grund auf verändern.
    »Seid Ihr noch anwesend, Meister? Ihr wolltet gerade erklären, welch subtiler Bann Euch zu mir zieht.«
    Er zuckte zusammen und schämte sich, dass er wie ein Idiot mit offenem Mund dastand, wenn ihm eine Frage gestellt worden war — Sarkasmus hin oder her. »Weil Ihr so schön und so traurig seid, Fräulein Elan«, sagte er, unsicher, ob er damit nicht die Grenzen des Anstandes überschritt. Er zuckte die Achseln: Zu spät, es war gesagt. »Ich wünschte, es gäbe etwas, das ich dagegen tun könnte.«
    »Dagegen, dass ich schön bin?«, sagte sie und hob eine Augenbraue, aber da war etwas unter der spöttischen Oberfläche, das ihn schmerzte — etwas Schutzloses und Unglückliches.
    »Mein edles Fräulein, Ihr weist mich zu Recht daraufhin, dass ich mich mit meinem plumpen Gerede zum Narren mache.« Er verneigte sich. »Ich sollte lieber gehen und Euch Eurer Arbeit überlassen.«
    »Ich hasse meine Arbeit. Ich sticke wie ein Ackerknecht. Ich bin, was Handarbeiten anbelangt, eher Scharfrichter als Chirurg.«
    Er wusste nicht, was das bedeuten sollte, aber sie hatte nicht gesagt, dass er gehen sollte. Freude wallte in ihm auf, aber er versuchte es zu verbergen. »Ich bin sicher, Ihr unterschätzt Euch, edles Fräulein.«
    Sie starrte ihn eine ganze Weile an. »Ich mag Euch nur, wenn Ihr die Wahrheit sagt, Kettelsmit. Könnt Ihr das tun? Wenn nicht, mögt Ihr Euren Weg fortsetzen.«
    Was verlangte sie? Er schluckte — diskret, wie er hoffte — und sagte: »Dann also nichts als die Wahrheit, edles Fräulein.«
    »Versprochen?«
    »Bei Zosim, meinem Schutzpatron.«
    »Ach, der Trinkergott — und auch der Schutzpatron der Verbrecher, wenn ich mich nicht irre. Eine ziemlich gute Wahl, denke ich, und sicherlich jeder Unterhaltung mit mir angemessen.« Sie wandte sich der jungen Dienerin zu, die sie mit offenem Mund beobachtet hatte. »Geh jetzt, Lida«, sagte sie. »Spiel mit den anderen Mädchen.
    »Aber Herrin ...!«
    »Ich komme zurecht. Ich werde hier sitzen bleiben. Meister Kettelsmit wird mich vor jeder Gefahr beschützen. Es ist ja wohlbekannt, dass Dichter nichts fürchten. Das stimmt doch, Meister Matthias?«
    Kettelsmit lächelte. »Bekannt? Nun, ja, allenfalls einigen Dichtern, wenn auch nicht diesem. Dennoch, ich glaube nicht, dass deiner Herrin irgendeine Gefahr droht, Kind.«
    Lida, die ganze acht oder neun Jahre alt war, sah ärgerlich drein, als sie Kind genannt wurde, raffte dann aber ihre Röcke und erhob sich von der Bank, eine Miniatur der Würde. Sie verdarb die Wirkung jedoch ein wenig, indem sie den Weg entlang schlurfte.
    »Sie ist ein braves Mädchen«, sagte Elan. »Ich habe sie von zu Hause mitgebracht.«
    »Aus Gronefeld?«
    »Nein. Meine Familie wohnt meilenweit von der Stadt entfernt. Unser Familiensitz heißt Widenrode.«
    »Ah. Dann seid Ihr also ein Mädchen vom Lande?«
    Sie sah ihn an, und ihr Gesicht war plötzlich wieder ausdruckslos. »Schäkert nicht mit mir, Meister Kettelsmit. Ich wollte Euch gerade bitten, Euch zu setzen. Müsste ich meine Entscheidung bedauern?«
    Er ließ den Kopf hängen. »Ich wollte Euch nicht kränken, Fräulein Elan. Es war nur Wissbegier. Ich bin in der Stadt aufgewachsen und habe mich oft gefragt, wie es wohl ist, jeden Tag Landluft zu riechen.«
    »Wirklich? Nun, manchmal riecht sie wunderbar und manchmal genauso übel wie die schlimmsten Winkel einer Stadt. Wenn Ihr noch nicht viel Zeit in der Nähe von Schweinen zugebracht habt, Meister Kettelsmit, ist Euch nicht viel entgangen.«
    Er lachte. Sie mochte mehr Witz haben, als einer Frau anstand, aber ihre Konversation war auch interessanter als die der meisten Frauen, die er kannte — und auch der meisten Männer. »Verstanden. Ich werde versuchen, die Freuden des Landlebens nicht übermäßig zu verklären.«
    »Ihr seid also in der Stadt aufgewachsen. Wo?«
    »Hier. Genauer gesagt, auf der anderen Seite der Bucht. Im so genannten Hafenviertel. Kein sehr schöner Ort.«
    »Aha. Dann war Eure Familie also arm?«
    Er zögerte. Er wollte es bejahen, um sich selbst möglichst bewundernswert darzustellen. Wenn er schon nicht als Edelmann durchgehen würde, konnte er wenigstens das Gegenteil sein, jemand, der

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