Das Spiel
Dutzend junger Frauen kamen in den Palastgarten heraus. Matthias Kettelsmit, der sich in Selbstmitleid ergangen und vergeblich nach etwas gesucht hatte, das sich auf ›missverstanden‹ reimte, erhob sich und zog sein Wams glatt. Seine Stimmung hatte sich plötzlich aufgehellt, und das nicht nur, weil er seine wohlgeformten Beine und seinen neuen Bart ein paar hübschen Mädchen zeigen konnte: Die munteren Geschöpfe, so farbenfroh wie eine Schar Zugvögel, erschienen ihm als Vorboten des Frühlings, obwohl der Winter noch Wochen dauern würde. Als er beobachtete, wie sie sich über den Garten verteilten — einige wischten die Bänke sauber, um sich daraufsetzen zu können, andere bildeten auf dem Rasen einen Kreis, um sich einen Ball aus mit Federn gefülltem Stoff zuzuwerfen —, hätte Kettelsmit trotz aller gegenteiligen Anzeichen fast schon glauben können, dass sich die Situation auf der Südmarksburg wieder normalisierte.
Er nahm seinen weichen Hut ab, kämmte sich mit den Fingern durchs Haar und überlegte, ob es vergnüglicher wäre, sich sofort in das Geschehen einzumischen, oder aber eine Weile zu warten, das Spiel zu beobachten und freundlich, aber leicht überlegen zu lächeln. Doch gleich darauf zerstoben alle diesbezüglichen Gedanken.
Sie ging so langsam wie eine wesentlich ältere Frau, und mit der jungen Dienerin an ihrer Seite hätte sie jemandes verwitwete Tante sein können — zumal sie an diesem Tag, an dem jeder beschlossen hatte, ein wenig Farbe zu tragen, noch immer von Kopf bis Fuß in Trauerschwarz gekleidet war. Doch das blasse, entschlossene Gesicht, das feine, ein ganz klein wenig spitze Kinn, die langen, von einer Gebetsperlenkette umflochtenen Finger waren unverwechselbar. Immerhin hatte sie heute den Schleier weggelassen.
Was für ein zwangloses Ballspiel und ein paar scheinbar zufällige Berührungen mit den Spielerinnen völlig genügt hätte, war nun nicht mehr ausreichend. Kettelsmit blieb stehen, zog sich die Strümpfe hoch, wischte sich ein paar Krümel von der Brust — er hatte während des Sinnierens über die Ungerechtigkeit des Lebens Brot und Hartkäse gegessen — und ging dann weiter den Weg entlang, ganz in die Betrachtung der Pflanzen versunken, als wäre er zu ergriffen von der rauen Schönheit des winterlichen Gartens, um das Erscheinen mehrerer heiratsfähiger junger Damen, die an Hals und Brust mehr Haut zeigten als seit Monaten, auch nur zu bemerken. Wie eine Ameise auf Futtersuche schlängelte er sich auf den knirschenden Kieswegen, die seit dem Spätherbst nicht mehr geharkt worden waren, zwischen den Buchsbaumhecken dahin, bis er sich schließlich der Bank näherte, auf der das Ziel seines Strebens mit einer Dienerin saß.
Elan M'Cory stichelte an etwas herum, das in einen hölzernen Rahmen gespannt war; sie blickte nicht auf, auch dann nicht, als er stehen blieb und eine ganze Weile wartete. Schon etwas entmutigt, hüstelte er schließlich. »Fräulein Elan«, sagte er, »ich wünsche Euch einen guten Nachmittag.«
Jetzt sah sie endlich auf, aber mit einem so leeren, gleichgültigen Blick, dass er sich wider alle Vernunft fragte, ob er sich der falschen Frau genähert hatte, ob Elan M'Cory vielleicht eine blinde oder schwachsinnige Schwester hatte. Dann jedoch trat so etwas wie ein menschlicher Ausdruck in ihre Augen. Und um ihre Lippen spielte etwas, das beinahe ein Lächeln war.
»Ah, der Dichter. Meister ... Kettelsmit, richtig?«
Sie erinnerte sich an ihn! Er hörte förmlich Trompeten, als ob die königlichen Herolde aufgeboten worden wären, um seine nunmehr eindeutig bestätigte Existenz zu verkünden. »Ganz recht, edles Fräulein. Ihr tut mir große Ehre.«
Ihr Blick senkte sich wieder auf die Stickerei. »Und genießt Ihr den Nachmittag, Meister Kettelsmit?«
»Dank Eurer Gegenwart noch viel mehr, edles Fräulein.«
Jetzt sah sie ihn wieder an, amüsiert, aber noch immer aus weiter Ferne. »Ach. Weil ich in meinem Frühlingsstaat so ein hübscher Anblick bin? Oder vielleicht wegen der Wolke von guter Laune, die mich umgibt wie xandisches Parfüm?«
Er lachte, aber eher halbherzig. Sie hatte Witz. Er war sich nicht sicher, was er davon halten sollte. Im Allgemeinen kam er mit dieser Sorte Frauen nicht so gut aus. Wenn ihm schon einmal Komplimente gemacht wurden, wollte er sicher sein, dass er sie verstand und dass sie aufrichtig waren. Dennoch war da etwas an ihr, das ihn anzog, gerade so wie die flammenliebende Motte, die er so oft in
Weitere Kostenlose Bücher