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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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Er hatte nichts gegen den Jungen, aber es war dessen Schwester, die er fürchtete, deren Schmerz, wenn ihrem Zwillingsbruder etwas zustieße, auch ihm das Herz unheilbar brechen würde. Er hatte ihr geschworen, Barrick wie ein Mitglied seiner eigenen Familie zu behandeln — ein Eid, der in vielfacher Hinsicht unglaublich töricht war.
    Er sah zu, wie der Prinz eins ihrer letzten Dörrfleischstücke aß und so gleichförmig vor sich hinkaute wie eine Kuh. Barrick war nicht einfach nur zerstreut, er schien auf eine Art und Weise abwesend, die Vansen seltsam vorkam. Der Junge konnte zumindest manchmal hören, was Vansen sagte, sonst hätte er hier nicht angehalten, und ab und zu sah er seinen Gefährten an, als nähme er ihn wirklich wahr. Ein paarmal hatte er sogar etwas von sich gegeben, wenn auch so gut wie nichts, was Vansen verstanden hätte, sondern vor allem das, was der Gardehauptmann inzwischen bei sich
Elbengebrabbel
nannte, das gleiche krause Zeug, das auch aus Collum Saddler herausgekommen war, nachdem ihm die Schattenlande den Verstand geraubt hatten. Es war, dachte Vansen, als ob er zusähe, wie Barrick Eddon starb — auf die langsamste und friedlichste Art, die man sich nur vorstellen konnte.
    Schaudernd dachte Vansen an etwas, das ihm einer seiner südmärkischen Garden erzählt hatte — Geral Kelty, der bei Vansens letzter Expedition in diese schrecklichen Lande verschwunden war, zusammen mit dem Kaufmann Raemon Beck und den anderen. Kelty war als Fischersohn in Landsend aufgewachsen, und als er noch ein Junge war, waren er, sein Vater und sein jüngerer Bruder dort, wo die Bucht ins offene Meer überging, plötzlich in einen heftigen Sturm geraten. Ihr Boot war umgeschlagen, von einer Welle begraben worden und so schnell gesunken, dass es den Vater mitgerissen hatte. Kelty und sein jüngerer Bruder hatten sich aneinander festgehalten und waren lange Zeit landwärts geschwommen, im Kampf mit dem Wind und den hohen Wellen.
    Doch dann, als der Strand von Munserkap schon ganz nah gewesen sei, hatte Kelty Vansen erzählt, habe sein Bruder ihn plötzlich losgelassen und sei im Wasser versunken.
    »Erschöpfung vielleicht«, hatte Kelty kopfschüttelnd erklärt, und in seinen Augen hatte noch immer Verstörung gestanden. »Krämpfe. Aber er hat mich einfach nur angeschaut, ganz friedlich, und ist unter die Wasseroberfläche geglitten, als würde er unter seine Schlafdecke schlüpfen. Ich glaube, er hat sogar gelächelt.« Auch Kelty hatte gelächelt, als er das sagte, so als wollte er die Tränen in seinen Augen überspielen. Vansen hatte ihn kaum ansehen können. Sie hatten beide gebechert — wieder mal ein Soldtag, den sie im Dachsenstiefel oder einer der anderen Spelunken am Marktplatz verbrachten —, und es war die nächtliche Stunde gewesen, da seltsame Dinge erzählt wurden, Dinge, die manchmal schwer zu vergessen waren, auch wenn sich die meisten Männer alle Mühe gaben.
    Zusammengeduckt unter dem Regen, der durch ihr armseliges Schutzdach aus ineinandergeflochtenen Zweigen drang und ihm hinten in den Mantel rann, fragte sich Ferras Vansen, ob Kelty in den Augen seines jüngeren Bruders das gesehen hatte, was er jetzt in Prinz Barricks Augen sah, dieselbe unerklärliche Entrücktheit. Würde Brionys Bruder auch sterben? Würde er sich einfach ergeben und in den Schattenlanden ertrinken?
    Und wenn ja? Was wird dann aus mir?
Er hatte schon beim ersten Mal nur mit Müh und Not aus den Schattenlanden herausgefunden, geführt von dem verrückten Mädchen, Willow. Niemand, dachte er, und schon gar nicht Ferras Vansen, würde zweimal so viel Glück haben.
     
    Sie hatten so etwas wie einen erkennbaren Weg gefunden. Vansen trabte vor dem Prinzen her, um einen Platz auszuspähen, wo sie haltmachen und sich in diesem endlosen grauen Zwielicht ein paar Stunden Ruhe gönnen könnten. Sie mussten jetzt schon mehrere Tage geritten sein, und der Proviant in seinem Packbündel war fast aufgebraucht. Wenn sie etwas Essbares erjagen mussten, dann wollte er es hier tun, wo wenigstens noch die blassen Geister von Sonne und Mond hinter dem Nebel am Himmel spukten. Er war sich nicht sicher, ob ein Tier, das sie hier erlegen würden, normaler wäre als irgendeine Jagdbeute noch weiter jenseits der Schattengrenze, aber er war entschlossen, es wenigstens zu versuchen.
    Plötzlich wieherte Vansens Pferd und stieg so plötzlich, dass es ihn fast abwarf. Zuerst glaubte er, sie würden angegriffen, aber der Wald war still.

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