Das Spiel
schneller erfahren, als uns lieb ist, vermute ich. Wir sollten vielmehr darüber nachdenken, wie wir entkommen können.«
Barrick hielt die Handeisen hoch, die zwar für einen Menschen seiner Größe eigentlich nicht allzu schwer waren, für seinen verkrüppelten Arm jedoch eine Qual. »Habt Ihr einen Meißel? Wenn ja, dann hätten wir etwas zu besprechen.«
»Sie haben Euch die Füße nicht gefesselt, Hoheit«, sagte der Soldat. »Wir können wegrennen und uns später Gedanken darüber machen, wie wir unsere Arme frei bekommen.«
»Ach ja? Schaut sie Euch doch an.« Barrick deutete auf zwei Langschädel, die ganz in der Nähe mit ihrem seltsamen, federnden Gang die Kolonne entlangpatrouillierten. »Ich glaube nicht, dass wir denen davonlaufen können, nicht mal ohne Fußfesseln.«
»Dennoch, das Buch des Trigon gebietet uns, Hoffnung zu bewahren, Prinz Barrick.« Bei diesen Worten machte Vansen ein seltsam ernstes Gesicht — aber vielleicht war es ja angesichts der Umstände auch nicht so seltsam. »Betet zu den gesegneten
Onirai,
dass sie im Himmel für uns bitten — vielleicht finden ja die Götter noch eine Möglichkeit, uns zu retten.«
»Offen gestanden«, sagte Barrick, »sind es im Augenblick gerade die Götter, die ich am meisten fürchte.«
Der Prinz schien wieder etwas weniger entrückt, was der einzige Hoffnungsschimmer war, den Vansen an diesem Tag hatte ausmachen können. Vielleicht kam es ja daher, dass Gyir, das Sturmlicht, fast gar nicht mehr mit Barrick sprach.
Aber bei seinem und meinem Glück wird er gerade rechtzeitig wieder zu sich kommen, um sich von unseren Gefangenentreibern hinrichten zu lassen,
dachte Vansen bitter-belustigt.
Wenigstens werden sie mich auch hinrichten. Alles wäre besser, als mit der Nachricht von Barricks Tod vor seine Schwester treten zu müssen.
Wo sie wohl ist?,
fragte er sich plötzlich.
Auf der Burg, vielleicht unter Belagerung? Es kann ja wohl nicht sein, dass Gyirs Volk uns so vernichtend schlägt und dann kurz vor Südmark haltmacht ...
Entsetzen, schlimmer als alles, was er um seiner selbst willen verspürt hatte, packte ihn bei der Vorstellung, dass Prinzessin Briony von Kreaturen wie diesen bedroht sein könnte, vielleicht sogar selbst gefangen. Er konnte den Gedanken gar nicht zulassen — es war zu schrecklich.
Vielleicht ist sie ja geflohen, mit ihren Ratgebern. Wo sie auch immer sein mag, Perin gebe, dass es ihr gut geht.
Wer war doch gleich diese Gottheit, die sie immer angerufen hatte?
Zoria — die barmherzige Perinstochter.
Er war noch nie auf die Idee gekommen, zu der jungfräulichen Göttin zu beten, aber jetzt tat er sein Bestes, sich ihr blasses, gütiges Gesicht in Erinnerung zu rufen.
Ja, gebenedeite Zoria, halte deine Hand über sie und bewahre sie vor allem Harm.
Ob Briony je an uns denkt? Natürlich wird sie die ganze Zeit an ihren Bruder denken — aber denkt sie auch jemals an mich? Weiß sie überhaupt noch meinen Namen?
Er schob diese törichten Gedanken weg. Es war schon jämmerlich genug, einer unerreichbaren Prinzessin hinterherzuschmachten, einer jungen Frau, die so hoch über ihm stand wie die Götter über den Menschen. Aber es war noch viel jämmerlicher, ihr hinterherzuschmachten, wenn man ein Gefangener in den Zwielichtlanden war und einem Schicksal entgegengetrieben wurde, von dem nur die Drei Brüder wissen mochten, worin es bestand.
Du denkst zu viel, Ferras Vansen. Das hat der alte Murroy immer gesagt, und recht hatte er.
Die breite Allee aus Steintrümmern und riesigen, schief stehenden Statuen wurde immer noch trostloser: Die meisten Sockel waren jetzt leer, die Steine immer vereinzelter, als ob Plünderer die meisten weggeschleppt hätten. Selbst die Bäume waren gefällt worden; das Tal und die Hänge zu beiden Seiten sahen so stoppelig aus wie das Gesicht eines unrasierten Leichnams.
Außerdem nahm Vansen immer deutlicher noch einen anderen Geruch wahr als nur den des Rauchs, einen starken, schwefligen Gestank, der wie Nebel über dem Tal zu liegen schien. Er schien aus Löchern im Boden beidseits der Straße zu kommen, und Vansen fragte sich, was da unter der Erde sein mochte, das dermaßen stank.
»Minen«, sagte Barrick, als Vansen die Frage laut stellte. »Gyir sagt, das hier sind die ersten Minen, die sein Volk angelegt hat, wenn hier auch schon viel früher gegraben worden war. Diese Minen führen meilenweit in den Boden hinab.«
»Was haben sie hier geschürft?«
»Mehr weiß ich nicht.«
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