Das Spiel
lehrte, indem er ihr lange Stellen aus dem Buch des Trigon vorlas: ...
Die Götter lieben die Töchter und Ehefrauen, welche demütig und bescheiden sind und nur danach streben, dem Himmel zu dienen ...
»Ich bin doch nicht neugierig, oder?«
Er lächelte wieder. »Kind, Ihr seid ein Springbrunnen von Fragen. Oft schaffe ich es nur mit Mühe, nicht mein gesamtes Leben vor Euch auszubreiten und Euch darin herumstöbern zu lassen wie in einer Truhe mit Kleidern.«
»Dann muss ich ja in Euren Augen sehr lästig sein. Ein Kind, das nie still sein kann.«
»Keineswegs. Neugier ist eine Tugend. Diskrete Zurückhaltung ebenfalls, aber die erlernt man gewöhnlich später. Wo wir gerade davon sprechen, hier, nehmt Euren Schal — es ist ein wenig kühl —, während ich Euch um etwas bitten werde, das in ebenjene Richtung geht.« Er hielt ihr den Schal aus feinem syanesischem Tuch hin, ließ ihn aber nicht gleich los, als sie ihn ergriff. Sie war überrascht und hob zu einer Frage an. »Nehmt ihn, aber faltet ihn nicht auseinander«, sagte er leise. »Ich habe einen Brief hineingesteckt. Keine Angst! Es ist nichts Verbrecherisches — ein Brief an Euren Vater. Würdet Ihr ihm den Brief bitte geben?«
Sie nahm den Schal an sich und fühlte die kleine, eckige Form. »Was ... was ist es?«
»Wie ich schon sagte, nichts Schlimmes. Ein paar Gedanken meinerseits über diese drohende Belagerung durch den Autarchen von Xis — ich habe die Gerüchte gehört. Ich müsste taub sein, um sie nicht zu hören. Euer Vater mag mit meinen Vorschlägen machen, was er will.«
»Aber warum?« Sie legte den zusammengefalteten Schal auf ihren Schoß. »Warum wollt Ihr uns helfen, wenn Ihr doch unser Gefangener seid?«
Olin lächelte wie unter Schmerzen. »Zum einen, weil ich natürlich ebenfalls in Gefahr bin. Zum zweiten, weil wir alle natürliche Verbündete gegen den Autarchen sind, wie auch immer Drakava darüber denken mag, und weil ich glaube, dass Euer Vater das erkennt. Und schließlich — nun ja, weil es nichts schaden würde, mir einen Mann wie Euren Vater gewogen zu machen.«
Pelaya war ganz aufgeregt. Eine heimliche Botschaft! Das war wie aus den alten Sagen von Silas oder Lander Elbenbanner. »Ich werde es tun, wenn Ihr mir versprecht, dass nichts Schändliches daran ist.«
Er senkte den Kopf. »Ich verspreche es, gutes Fräulein.«
Sie sprachen noch ein bisschen über weniger bedeutsame Dinge wie die grässliche Laune ihres kleinen Bruders oder die sich dahinschleppenden Verhandlungen über Telonis Vermählung mit einem jungen Edelmann vom Lande nördlich der Stadt. Diese Verzögerung quälte Pelaya, weil ihr Vater gesagt hatte, er werde keinen Mann für seine jüngere Töchter finden, solange die ältere nicht verheiratet sei, und sie konnte es kaum erwarten, endlich eine erwachsene Frau mit einem eigenen Haushalt zu sein.
»Habt es nicht zu eilig«, sagte Olin freundlich. »Der Stand der Ehe ist zwar für eine Frau ein heiliger, kann aber auch voller Leid und Gefahren sein.« Er sah zu Boden. »Ich habe meine erste Gemahlin im Kindbett verloren.«
»Die Götter müssen sie zu sich geholt haben, weil sie sie in ihrer Nähe wollten«, sagte Pelaya und ärgerte sich dann, dass sie diesen frömmlerischen Spruch ihrer Mutter wiederholte. »Tut mir leid.«
»Manchmal glaube ich, für meine Kinder war es schwerer als für mich«, sagte er leise. Dann schwieg er eine ganze Weile. Sein Blick war über Pelayas Schulter gerichtet, weshalb sie davon ausging, dass er wieder die Möwen beobachtete und davon träumte, dass die Mauern von Hierosol hinter ihm verschwanden.
»Was wolltet Ihr sagen, König Olin?«
»Wie?« Er zwang sich, sie anzusehen. »Ah, verzeiht. Ich war ... abgelenkt. Schaut doch, bitte, und sagt mir — wer ist dieses Mädchen?«
Pelaya fühlte einen leisen Stich, den sie erst mit Verzögerung als Eifersucht identifizieren sollte. Sie drehte sich zum Garten um, sah aber niemanden. »Wer? Meine Schwester und die anderen sind schon wieder hineingegangen.«
»Dort. Es sind zwei, mit gewaschener Wäsche.« Er zeigte mit dem Finger. »Eine Schlanke und eine weniger Schlanke. Die Dünnere — seht, dort, die, deren Haar sich aus dem Tuch gelöst hat.«
»Meint Ihr ... diese Wäscherinnen?«
»Ja, die meine ich.« Zum ersten Mal, soweit Pelaya sich erinnerte, klang er ärgerlich. »Existieren sie etwa nicht, nur weil sie Dienstmägde sind? Es sind doch außer Euch die einzigen Mädchen hier im Hof.«
Sie war
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