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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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dreingeschaut hatten, als hätte sie beschlossen, von der Stadtmauer zu springen und nach Xand zu schwimmen.
    Aber es gefiel ihr, wie sie sich fühlte, wenn sie sich auf diese Erwachsenenart unterhielten, und er schien es auch zu genießen, wenn er auch immer ein bisschen enttäuscht war, dass sie ihm nicht mehr Neuigkeiten aus seiner Heimat berichten konnte. Sie wusste, dass einer seiner Söhne gestorben war, dass seine Tochter und der andere Sohn verschwunden waren und dass sein Land in irgendeinem Krieg stand. Wenn Olin von seinen Kindern sprach, schien er manchmal seine Gefühle mit solcher Macht unterdrücken zu müssen, dass es ihr vorkam, als könnte er jeden Moment in Tränen ausbrechen, aber kurz darauf war er schon wieder so kühl und gefasst, dass sie sich fragte, ob sie es sich nur eingebildet hatte. Er war ein seltsamer Mensch, selbst für einen König — äußerst wechselhaft in seinen Stimmungen, immer höflich, aber für ein Mädchen wie Pelaya, deren eigener Vater bei all seiner Gescheitheit doch eine schlichtere Sorte Mensch war, manchmal ein bisschen beängstigend. Sie hatte schon manchmal gedacht, dass Olin Eddons wahre Gefühle genauso eingesperrt waren wie er selbst.
    Er durfte nicht sehr oft in den Garten, nur ein paar Mal in jedem Tagzehnt. Pelaya fand das ungerecht vom Protektor. Sie fragte sich, ob sie sich trauen sollte, mit ihrem Vater darüber zu reden — er war schließlich der oberste Verwalter der gesamten Festung —, doch obwohl an dieser Freundschaft mit dem nordländischen König nichts Verbotenes war, wollte sie lieber keine Aufmerksamkeit darauf lenken. Graf Perivos war ein ernster Mann; er hielt nicht viel von Beschäftigungen, die keinem unmittelbaren Zweck dienten, und sie bezweifelte, dass er ihre harmlose Hingezogenheit zu Olin je verstehen würde. Ihr Vater hatte ganz bestimmt schon von dieser eigenartigen Freundschaft erfahren, bisher aber noch nichts gesagt, wahrscheinlich nach Rücksprache mit Teloni, die ihrerseits befunden hatte, dass das Ganze nur eine von Pelayas seltsamen Grillen sei, und ihr deswegen auch keine Vorhaltungen mehr machte. Es war wohl am besten, dachte Pelaya, es dabei zu belassen und die Götter nicht zu versuchen.
     
    Zu ihrer Freude stellte sie fest, dass König Olin an diesem Tag im Garten war und von einem hohen Ornamentstein nicht weit von der Bank aufs Wasser hinausschaute. Das war die einzige Stelle, an der man hoch genug hinaufklettern konnte, um zwischen den Festungstürmen hindurch auf die Straße von Kulloan zu blicken. Er saß im Schneidersitz auf dem Stein, das Kinn in die Hände gestützt, mehr wie ein Junge denn wie ein erwachsener Mann, geschweige denn wie ein König. Sie blieb am Fuß des Steins stehen und wartete, dass er sie bemerkte.
    »Ah, gutes Fräulein Akuanis«, sagte er lächelnd. »Ihr beehrt mich wieder mit Eurer Anwesenheit. Ich habe gerade hier gesessen und darüber nachgedacht, ob ein Mensch sich wohl Flügel fertigen könnte wie die einer Möwe — aus Holz und Federn vielleicht, wenn ich auch fürchte, jede Feder müsste einzeln festgebunden werden, was eine Menge Arbeit wäre —, um damit zu fliegen wie ein Vogel.«
    Sie runzelte die Stirn. »Warum sollte das jemand wollen?«
    »Warum?« Er lächelte wieder. »Ich nehme an, die Freiheit der Möwe im Wind ist für mich derzeit von größerer Bedeutung als für Euch.« Er kletterte leichtfüßig herab. »Ich sinniere nur vor mich hin — ich sehe die Vögel fliegen, und schon beginnen meine Gedanken zu schweifen. Ich bitte Euch, erzählt Eurem Vater nichts von meinem Interesse fürs Fliegen. Sonst könnte man mir das Geschenk dieser Stunden im Garten wieder entziehen.«
    »Das würde ich nie tun«, sagte sie ernst.
    »Ah. Ihr seid gütig.« Er nickte, und damit war dieses Thema abgeschlossen. »Und wie geht es Euch heute, mein Fräulein? Waren Euch die Götter gewogen, seit wir uns das letzte Mal sahen?«
    »Ja, schon, einigermaßen. Mein Hauslehrer stellt mir die langweiligsten Aufgaben, die Ihr Euch vorstellen könnt, und ich werde nie, nie eine Näherin werden, und wenn ich es noch so viele Jahre versuche. Meine Mutter sagt, meine Nadelarbeit sieht aus wie das Netz einer betrunkenen Spinne.«
    Er schmunzelte. »Eure Mutter scheint eine gescheite Frau. Das ist nicht das erste Mal, dass sie etwas sagt, das mich zum Lachen bringt. Vielleicht habt Ihr ja daher Euren schnellen Verstand und Eure Neugier.«
    »Ich?« Sie dachte an die Lektionen, die Bruder Lysas sie

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